Die Essenz der Lehre Buddhas
Mutter reine Freude.
Auch andere Gefühle dienen dem Überleben. Anhänglichkeit ist die primäre Gefühlsregung, mit der die Bedingungen für unser Überleben geschaffen werden, aber Furcht und Zorn spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Von einem Wissenschaftler habe ich einmal erfahren, dass die Muskeln unserer Arme stärker werden, wenn wir wütend sind, sodass wir das, worauf unsere Zornregung zielt, leichter erreichen. Angst, erklärte er mir weiterhin, steigert die Durchblutung der Beinmuskeln, sodass wir besser laufen können.
In die Liebe zwischen Mutter und Kind mischt sich auch Anhaftung, und das gilt genauso für die Liebe zu
anderen, die uns nahe sind. Aber wenn solche Gefühle einen Anteil von Selbstbezogenheit haben, muss das nicht heißen, dass sie nicht der Keim sein können, von dem aus wir Mitgefühl mit allen Lebewesen entwickeln. Mit anderen Worten: Ein gewisser Eigennutz kann überlebenswichtig sein, doch das gilt auch für Selbstlosigkeit. Vergegenwärtigen wir uns den Nutzen von selbstloser Liebe und Mitgefühl für unsere körperliche Gesundheit. Betrachten wir, wie glücklich sie uns machen. Durch eine altruistische Grundhaltung schaffen wir im heimischen Umfeld eine frohe und glückliche Atmosphäre. Darüber hinaus tragen wir zu einer gesünderen und stabileren Gesellschaft bei. Solche Betrachtungen stärken unseren Sinn für den Wert des Mitfühlens, das sich dann weiten kann, um immer mehr Lebewesen einzuschließen.
Auch durch die Betrachtung immer feinerer Schattierungen des Leidens wird unser Mitgefühl tiefer werden. Zuerst wünschen wir allen Lebewesen Befreiung von den erkennbaren körperlichen und seelischen Schmerzen, die wir als »das Leid des Leidens« bezeichnen. Sodann wünschen wir ihnen die Loslösung vom Leid des Wandels, das glückliche Augenblicke irgendwann enden und in leidvolle Erfahrung übergehen lässt. Am tiefsten reicht der Wunsch, alle Lebewesen mögen vom durchgängigen Leid dieses bedingten Daseins im Samsara befreit werden.
Stärker wird unser Mitgefühl auch im Zusammenwirken mit der Erkenntnis, dass alles Leid unseren geistigen Plagen und dem durch sie bedingten Karma oder Handeln
entspringt – und alles seine Grund-Ursache in unserem verblendeten Festhalten an einem Ich-Gefühl hat. Sobald wir einen Blick in die Ichlosigkeit getan haben, sehen wir klar, dass diese Grund-Unwissenheit beseitigt werden kann und die Ursache unserer Leiden dann mit der Wurzel ausgerissen ist. Wenn wir einmal darauf aufmerksam geworden sind, dass die Leiden der Lebewesen beendet werden können, wird unser Mitgefühl viel stärker werden. Was bisher vielleicht einfach Mitleid war, wird dann zum aktiven Einsatz für ein erreichbares Ziel. So sieht ein wirklich aufgeweckter Geist die Dinge. Man erkennt, dass der von uns eingeschlagene Weg des Mitgefühls Sinn und Wert hat, weil sein Ziel erreichbar ist.
Leid und Glück
Jeder ist das Zentrum seiner eigenen Welt. Osten, Westen, Norden, Süden, oben und unten – all das bestimmen wir von unserem eigenen jeweiligen Standpunkt aus. Das Ich ist eine Art grundlegender Bezugsrahmen, von dem aus wir das Ganze des Daseins verstehen und in Beziehung zu ihm treten.
Leid, das wir uns als unser persönliches Samsara denken können, und Glück, das heißt unser Freisein von diesem Leid, entspringen letztlich unserer Ich-Vorstellung. Meine Leiden kommen daher, dass ich mir egozentrisches
Verhalten erlaube, und dieses Verhalten veranlasst mich, weiterhin so zu handeln, dass ich noch mehr Leid auf mich ziehe. Es scheint, dass ich mich endlos in den Zyklen der Wiedergeburt bewege, die mein Samsara ausmachen. Mein Streben nach Glück kommt von dem Wunsch nach Freiheit von Leiden.
Wir können Samsara und Nirwana zu unserer individuellen Ich-Vorstellung in Beziehung setzen. Was der Buddha über das Leiden, seine Ursachen, sein Aufhören und den Weg zu diesem Aufhören lehrte, ist aus der Perspektive des Einzelnen zu betrachten: Er erkennt seine leidvolle Verfassung und von da aus die Ursachen des Leidens. Dann arbeitet er auf die Beendigung der Leiden hin, indem er den Weg einschlägt, der dazu führt. Auch die religiöse Praxis anderer Glaubenstraditionen hat nur als die konkrete Praxis des Einzelnen einen Sinn.
Der Buddha bezeichnete den Gedanken »Ich bin« als Dämonengeist. Der Grund dafür liegt darin, dass unsere irrige Ich-Vorstellung die Selbstbevorzugung erzeugt, der alle unsere Leiden entspringen. Der Buddha lehrte jedoch auch, dass
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