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Die Essenz der Lehre Buddhas

Die Essenz der Lehre Buddhas

Titel: Die Essenz der Lehre Buddhas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dalai Lama
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Objekte nicht getrennt sind, betrachten die Nur-Geist-Philosophen die Ichlosigkeit aller Phänomene und Personen. Dabei ist es jedoch offenbar so, dass sie die Existenz aller äußeren Phänomene jetzt dem Geist zuschreiben müssen, der sie wahrnimmt. Diese Existenz des Geistes bestreiten wiederum die Philosophen, die wir auf der nächsten Leitersprosse antreffen.
    Der Mittlere Weg
    Die Madhyamika-Philosophen des Mittleren Weges vertreten die Auffassung, dass Ichlosigkeit nicht nur für den Menschen selbst und die Dinge seiner Erfahrung gelten könne, sondern auch den Geist einbeziehen müsse – Empfindungen, Gedanken, Gefühlsregungen, Erfahrungen und das Bewusstsein insgesamt. Wie man in den Bestandteilen eines Stuhls keinen eigenständig existierenden Stuhl entdecken kann, so finden wir zwischen den Gefühlen und Gedanken, die wir zusammen als Geist bezeichnen, keinen für sich existierenden Geist vor.
    Madhyamika-Philosophen gehen sogar so weit, dass sie ein objektives oder innewohnendes Sein der Dinge grundsätzlich infrage stellen. Nagarjuna, der Madhyamika-Wegbereiter des zweiten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, wies auf einen wichtigen Zusammenhang hin: Wenn wir einer Sache irgendeine Eigenschaft oder auch objektives Sein zuschreiben, mögen es auch ganz subtile Eigenschaften sein, so schaffen wir damit die Grundlage für geistige Plagen und das, was sie an Leid nach sich ziehen.
    Wenn wir irgendeiner Sache jegliche in ihr selbst liegende Existenz absprechen, negieren wir dann nicht die Sache an sich? Buddhistische Philosophen der unteren Sprossen wie Dharmakirti meinen, jedes Phänomen müsse seine charakteristischen Merkmale haben. Das lässt vermuten, dass die Dinge im Grunde eine in ihnen selbst liegende Realität besitzen müssen, weil es sie sonst gar
nicht gäbe. Wie kann der Stuhl ohne ein in ihm selbst liegendes Stuhlsein sein? Ist das nicht absurd? Aber eben diese Qualität von Sein weisen die Madhyamika-Philosophen zurück.
    Wie Nagarjuna erläutert, bedeutet seine Verneinung des in den Dingen selbst liegenden Seins nicht, dass er Sein oder Existenz grundsätzlich leugnet. Es sei sogar so, fährt er fort, dass die Phänomene überhaupt nur deshalb existieren können, weil sie eben kein Eigensein haben. Unsere Ansicht, ein Stuhl besitze ein in ihm selbst liegendes Stuhlsein, ist Illusion. Sie beruht auf der irrigen Annahme, ein Stuhl sei etwas für sich und als Träger des Namens »Stuhl« Existierendes. Ein Stuhl kann nur existieren, weil er eben frei oder leer von in ihm selbst liegendem Sein ist. Er ist leer von Stuhlsein, und gerade deshalb kann er als Stuhl existieren.
    Wir sehen also, wie die logischen Gedankengänge, mit denen die verschiedenen Schulen des buddhistischen Denkens die Existenzweise der Dinge zu erfassen versuchen, auf jeder nächsthöheren Sprosse unserer philosophischen Leiter immer subtiler werden. Es beginnt damit, dass alle Phänomene als von Ursachen und Bedingungen geformt gesehen werden und daraus der Schluss gezogen wird, dass sie nicht unabhängig und autonom existieren. Im nächsten Schritt wird gesehen, dass sie als Manifestationen innerer Potenziale existieren und deshalb nicht unabhängig von dem Geist sein können, der sie erfährt. Im letzten Schritt wird von allen Phänomenen angenommen,
sie existierten lediglich als Namen oder Bezeichnungen und hätten kein ihnen selbst innewohnendes Sein.
    Wie gesagt, nach Nagarjunas Deutung der Ichlosigkeit kann es zwischen einer Person und den Phänomenen keinen Unterschied geben, beide sind ohne Eigenexistenz. Ein Ich ist in den körperlichen oder geistigen Anteilen der Person nicht zu finden, und die Person ist auch nicht die Ansammlung oder das Kontinuum dieser körperlichen und geistigen Elemente. Es stellt sich heraus, dass unser Ich-Gefühl nichts weiter als eine Konstruktion oder Idee ist. Wir wenden sie auf die körperlichen und geistigen Daseinsgruppen oder Teile an, die wir als Grundlage dieser Bezeichnung sehen. In gleicher Weise existiert auch jedes der Phänomene, aus denen wir bestehen, lediglich als eine Vorstellung oder Beschreibung auf der Basis seiner eigenen Gruppen oder Bestandteile. Das Gleiche gilt wiederum für die Teile, aus denen diese Gruppen oder Anhäufungen bestehen.
    Nach den philosophischen Schulen auf den unteren Sprossen der Leiter ist für die Befreiung vom zyklischen Dasein nichts weiter erforderlich, als zu erkennen, dass wir keine in uns selbst liegende substanzielle Realität

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