Die Essenz der Lehre Buddhas
ein jeder Herr seiner selbst ist. Unsere derzeitige Situation im Samsara mag das Resultat unseres von den Plagen des Geistes geschaffenen alten Karmas sein, doch wir haben die Möglichkeit, durch selbstloses Handeln neues und förderliches Karma zu schaffen. Unsere Zukunft liegt in unseren eigenen Händen.
Kapitel 6
Das Wesen des Ichs
J eder von uns erlebt Leid und Glück in dem Maße, in dem er sich selbst und die Welt entweder klar oder verzerrt wahrnimmt. Wenn wir das Wesen des Ichs so erkennen, wie es wirklich ist, erfahren wir Nirwana. Nehmen wir das Wesen des Ichs jedoch verzerrt wahr, erfahren wir Samsara. Es ist deshalb unbedingt notwendig, die Frage zu beantworten, was das Ich seinem Wesen nach ist.
Dharmakirti sagt in seinem Werk Pramanavartika (Darlegung der gültigen Erkenntnis):
Wo ein Festhalten am Ich ist,
entsteht Unterscheidung zwischen Ich und anderem,
und das zieht Gefühlsregungen und Plagen nach sich.
Wenn wir unsere Wahrnehmungen und Gedanken beobachten, fällt uns auf, dass sich ein Ich-Gefühl ganz natürlich in uns regt. Instinktiv denken wir »Ich stehe auf.« zu oder »Ich gehe aus dem Haus.«. Ist dieses Ich-Gefühl falsch? Ich glaube nein. Dass wir existieren, ist ja nicht zu bestreiten. Unsere Erfahrung bestätigt es, etwa wenn wir nach Glück streben oder Schwierigkeiten beizukommen versuchen oder uns – als Buddhisten – für uns selbst und für andere auf den Weg zur Buddhaschaft machen.
So schwer auch zu bestimmen sein mag, was dieses Ich eigentlich ist, es muss etwas geben, worauf sich der Gedanke »Ich bin« bezieht. Es gibt ein Ich, es ist vorhanden und die Grundlage unseres natürlichen, intuitiven Ich-Gefühls.
Solch ein Ich – einen von den diversen Anteilen der Person unabhängigen Atman – postulierten auch die Philosophen des alten Indien. Sie bejahten den Gedanken der Wiedergeburt, einige konnten sich sogar an Erlebnisse in früheren Leben erinnern. Wenn das Körperliche mit der Empfängnis seinen Anfang nimmt, so argumentierten sie, muss es ein Ich geben, denn wie wäre die Kontinuität eines Individuums über mehrere oder viele Leben hinweg sonst zu erklären? Deshalb postulierten sie ein Ich, das von Leben zu Leben fortbesteht und von der Existenz eines Körpers unabhängig existiert.
Nach dieser Auffassung ist das Ich etwas Einzelnes, während unsere geistigen und körperlichen Anteile eine Vielzahl bilden. Das Ich wurde für dauerhaft und unwandelbar befunden, während die geistigen und körperlichen Anteile der Person als vergänglich und wandelbar galten. Der Ich-Kern war unabhängig und autonom, und die eher äußerlichen Teile waren äußeren Einflüssen unterworfen. Kurzum, die Denker der alten Zeit postulierten einen Atman, der von unseren geistigen und körperlichen Anteilen verschieden und unabhängig ist.
Der Buddha schlug hier eine vollkommen andere Richtung ein und sagte, ein Ich existiere lediglich im Bezug
zu den geistigen und körperlichen Anteilen der Person. Wie es keinen von seinen Bestandteilen unabhängigen Ochsenkarren geben kann, so auch kein Ich, das von den Gruppierungen, die eine Person ausmachen, unabhängig wäre.
Wenn man ein einheitliches, unveränderliches, dauerhaftes, eigenständiges und von den Gruppierungen, das heißt von den Bestandteilen der Person unabhängiges Ich annimmt, so lehrte der Buddha, führt man etwas nicht Existierendes ein, und das verstärkt nur unser instinktives Ich-Gefühl. Deshalb vertrat er den Gedanken der Ichlosigkeit – Anatman .
Natürliches und falsches Ich-Gefühl
Es ist für uns entscheidend wichtig, zwischen dem Ich des alltäglichen Sprachgebrauchs und dem nicht wahrhaft existierenden Ich zu unterscheiden, denn das Festhalten an diesem letzteren Ich ist der Ursprung aller Leiden.
Buddhistische Yogis – Meditierende –, die sich der tiefen analytischen Meditation über die Existenz des Ichs widmen, konzentrieren ihre Analyse auf die Ich-Erfahrung, in der das Ich als etwas Reales und Eigenständiges erscheint, dessen Existenz die weitere meditative Erforschung jedoch irgendwann verneinen wird. So gelangen
sie zu einer klaren Unterscheidung zwischen der gewöhnlichen Ich-Erfahrung, aus der wir die Annahme eines realen Ichs ableiten, und diesem zur Realität verdinglichten Ich, das negiert werden muss.
In unserem normalen alltäglichen Empfinden kommt ein natürliches und ganz angemessenes Ich-Gefühl vor, das uns denken lässt »Ich entwickle Bodhicitta« oder »Ich meditiere über
Weitere Kostenlose Bücher