Die Eule von Askir
zwanzig Jahren hatte ein kleiner Junge beobachtet, wie ein reich gekleideter Herr mitten in der Nacht ein kreischendes und strampelndes Bündel in das Hafenwasser warf. Obwohl selbst kaum über vier Jahre alt und des Schwimmens nur zum Teil mächtig, sprang der Junge in das kalte Wasser und wäre beinahe selbst mehrfach ersoffen, ehe er das nasse Bündel endlich an die nächste Seetreppe gezerrt hatte. Das Bündel war ein Mädchen, vielleicht knapp drei Jahre alt, und der tapfere Junge wurde später als Wiesel zu seiner eigenen Legende.
Es war noch immer Wiesels bevorzugte Geschichte, auch wenn Istvan ihm sehr deutlich nahegelegt hatte, sie nicht mehr zu erzählen. Wie Wiesel ihr seit Jahren regelmäßig vorwarf, hatte sie ihm gründlich den Spaß verdorben, seitdem sich für sie die Tür zum Turm der Eulen, den legendären Maestros des Alten Reichs, geöffnet hatte.
Istvan wiederum war nicht der Ansicht, dass es klug wäre, in alle Welt hinauszuposaunen, dass Desina, seit Jahrhunderten die erste Eule von Askir, und Wiesel, der legendäre Dieb, fast ein Jahrzehnt lang zusammen jede Börse und Schatztruhe geplündert hatten, die ihnen unter die Finger kam.
Bis eines Tages Wiesel versuchte, einen gewissen Wirt um seinen Beutel zu erleichtern, und dieser ihn auch dann nicht losließ, als ein kratzendes, fauchendes und beißendes rothaariges Mädchen versuchte, ihm die Schienbeine einzutreten.
Ab und zu setzte Istvan es sich in den Kopf, einem der vielen verwahrlosten Mädchen aus dem Hafenviertel ein Heim zu bieten und sie als seine Tochter aufzuziehen. Oft genug hatte er damit keinen Erfolg, manche liefen ihm bald schon wieder davon, andere nutzten nicht das, was er ihnen bot, aber Desina war schon immer anders gewesen. Und, wie er nicht müde wurde ihr zu erzählen, sie hatte ihn stolz gemacht.
Diese eine Tochter allerdings kam mit einem Bruder, und notgedrungen hatte Istvan auch Wiesel sein Heim geöffnet. Seitdem wohnte Wiesel hier, sein Zimmer im zweiten Stock war noch immer das einzige Zuhause, das er kannte. Zudem gab es seiner Meinung nach keinen besseren Koch als Istvan, und auch der Weinkeller war immer gut sortiert.
Obwohl es hier im Hafen genügend Burschen gab, die sich für harte Männer hielten, reichte meist ein Blick in Istvans Augen, um den hartgesottensten Gesellen daran zu erinnern, wo er sich befand. Reichte dies nicht, nun, dann gesellte sich bald ein neuer Schädel zu den anderen auf dem Sims.
Legende und Wirt führten dazu, dass dieser Gasthof auch in anderer Hinsicht ein besonderer Ort war. Über die Jahrhunderte wurde der Gasthof zu einem neutralen Ort, an dem sich selbst die Parteien einer Blutfehde oder von häufigen Machtkämpfen im Hafen treffen konnten, um im Schutz der erzwungenen Neutralität neu zu verhandeln oder einen alten Zwist beizulegen.
Kurz, für jemanden, der von den meisten Seeschlangen misstrauisch betrachtet wurde, war dies der ideale Ort, eine Heimat zu finden. Er hatte seinen Preis, denn für das gleiche Geld, das Wiesel für seinen einfachen Raum im Obergeschoss der Herberge bezahlte, hätte er sich ein Haus mieten können.
Ihn kümmerte es nicht, denn der drahtige Mann war genau das, was man ihm vorwarf zu sein: der erfolgreichste Dieb, den die Reichsstadt seit Jahrhunderten gesehen hatte.
Wiesel, der längst vergessen hatte, wie er in Wirklichkeit hieß, war kein alter Mann, wie man meinen könnte, wenn man von seinen Taten hörte, sondern gerade erst zwei Dutzend und zwei. Für einen Dieb war das jedoch ein gesegnetes Alter. Die meisten Diebe mussten dieses unrühmliche Handwerk entweder aufgeben oder früher oder später erst die eine und dann auch noch die andere Hand verlieren.
Er allerdings trug sein langes dunkelblondes Haar in einem Zopf zusammengebunden, um so stolz seine Ohren zur Schau zu stellen, die nicht einen einzigen Schlitz aufwiesen.
In schlichtem schwarzem Leinen gekleidet, mit weichen Lederstiefeln, deren Sohlen angeblich aus Drachenhaut bestanden und nie den Halt verloren, war es unschwer zu erraten, warum Wiesel seinen Spitznamen erhalten hatte. Es war nicht nur seine sprichwörtliche Flinkheit, auch sein Gesicht ließ einen anderen Namen nur schwerlich zu. Abgesehen von den Griffen zweier Wurfmesser, die aus seinen schwarzen Armschützern ragten, wirkte Wiesel gar nicht wie ein Dieb oder überhaupt wie jemand, der sein ganzes Leben im Zwielicht des Hafens zugebracht hatte, denn sein schmales Antlitz trug keine Narben, und die Härte und
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