Die Eule von Askir
Grausamkeit, die man so oft in den Gesichtern der anderen Gesellen der Nacht sah, schienen ihm fremd.
Wenn man von seinem mehr als zweifelhaften Ruhm absah, war Wiesel ein freundlicher Geselle, dessen größte Leidenschaft ein gutes Essen und ein hervorragender Wein waren.
Oft fand man ihn hier, zufrieden zurückgelehnt an seinem gewohnten Platz in Istvans Schankraum, scheinbar ohne jede Sorge und meist guter Laune.
Desina warf Wiesel nach der überraschenden Frage einen ungläubigen Blick zu. Istvan schüttelte nur den Kopf.
»Was hast du denn damit zu tun?«, fragte sie Wiesel entgeistert, als sie endlich wieder Luft bekam, und sah sich dann unwillkürlich um. Ihr Tisch stand etwas abseits, aber um diese Zeit war es ohnehin ruhig in der Herberge. Gemurmel von Stimmen, das Scheppern von Geschirr und Essbesteck, der Knall, mit dem jemand seine Trumpfkarte ausspielte, das Lachen und Grölen waren beständige Hintergrundgeräusche zu den Stoßzeiten, aber noch war es nicht einmal Frühstückszeit.
»Dieser Kammerdiener wurde von einem Seelenreiter ermordet!«, flüsterte sie. »Nicht nur das, ich glaube, seine Seele wurde geritten. Der Verfluchte weiß jetzt alles, was der Ermordete wusste.«
»Wenn man bedenkt, wer der Mann war, ist das allein schon für einen der Verfluchten ein Grund, ihn zu töten«, meinte Wiesel unglücklich. »Leider glaube auch ich, dass ein Verfluchter in der Stadt ist. Ich habe bislang gehofft, dass der Ewige Herrscher diese Brut vollends ausgerottet hätte. Wieso taucht so einer ausgerechnet jetzt wieder auf? Und wo kommt er her?«
»Du vergisst etwas, Wiesel«, sagte Istvan. Er stellte seinen eigenen Becher vor sich und griff nach der Flasche, während er Wiesel vorwurfsvoll ansah. »Das ist Hardensteiner Jungfernlese«, sagte er bedeutsam. »Die Flasche kostet zwei ganze Goldstücke, die kannst du mir nicht einfach von der Theke stehlen!«
»Ich habe sie nicht gestohlen«, protestierte Wiesel mit Unschuldsmiene. »Ich habe sie nur mitgenommen. Was vergesse ich?«
»Eben genau die Tatsache, dass Desina ihre Robe noch nicht lange trägt. Warum sollten die Seelenreiter sich nicht schon seit Jahrhunderten in der Stadt breitgemacht haben? Es gab ja niemanden, der sie hätte erkennen können. Erst jetzt gibt es wieder eine Eule, die das zu tun vermag. Vielleicht ist der Kerl schon lange hier. Es ist möglich.«
»Götter, ich habe doch selbst gesehen, wie der Mann starb. Eine andere Erklärung gibt es nicht. Mich musst du nicht überzeugen.« Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
»Also warst du wirklich dabei, als der Kammerdiener starb? Warum bist du nicht zu mir gekommen, wenn du gewusst hast, dass er Opfer eines Nekromanten wurde?«, fragte Desina.
»Beruhige dich«, sagte Wiesel. »Du hast wieder dieses Glitzern in den Augen, wie immer, wenn du besonders stur sein willst.«
»Wiesel…«, begann sie, doch der hob die Hand.
»Schon gut. Wenn ich es dir nicht hätte erzählen wollen, hätte ich nichts gesagt, oder? Tatsächlich bin ich froh, dich hier zu sehen, sonst hätte ich mich morgen auf den Weg hoch zur Zitadelle gemacht, um dir davon zu berichten.« Er verzog das Gesicht. »Und das, obwohl die Bullen am Tor mich gar nicht mögen.«
»Das könnte daran liegen, dass sie der Meinung sind, du hättest es auf den Kronschatz abgesehen«, sagte Desina in beißendem Tonfall. »Schließlich haben sie dich einmal fast dabei erwischt.«
»Ich hab dich nur besuchen wollen«, protestierte Wiesel beleidigt.
»Das behauptest du«, meinte Desina.
»Bekommt euch nicht in die Haare«, sagte Istvan ruhig, was ihm nur einen scharfen Blick von beiden eintrug. Er lächelte leicht und lehnte sich zurück, schließlich kannte er das. Sowohl Wiesel als auch Desina mochten es gar nicht, wenn man ihnen einen guten Streit verdarb, aber Istvan war es gewöhnt und besaß ein dickes Fell. »Was war jetzt mit diesem Kammerdiener, Wiesel?«, fragte er.
»Eine ziemlich seltsame Geschichte«, antwortete der Dieb. »Wie ihr ja beide wisst, mache ich solche Geschäfte nicht mehr«, fuhr er fort, was sowohl Desina als auch Istvan mit einem skeptischen Blick quittierten. »Ich höre natürlich immer noch, was so gemunkelt wird. Also habe ich auch von einem gewissen Jenks gehört, der geradezu verzweifelt versuchte, einen besonders fähigen Dieb zu finden.«
»Warte mal«, sagte Istvan. »Ist Jenks dieser Kranich, der vorgestern Abend hier auftauchte? Dunkelrote, bestickte Livree, spindeldürr,
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