Die Euro-Lügner: Unsinnige Rettungspakete, vertuschte Risiken - So werden wir getäuscht (German Edition)
Luft setzte.
Keiner der 20 deutschen und 30 französischen Unternehmensfürsten, die auf Crommes Aufforderung hin den Treueschwur unterschrieben, würde sich in seiner eigenen Firma eine solche Nachlässigkeit erlauben. In Vieraugengesprächen gaben das einige der Unterzeichner auch zu: Sie hätten gar nicht gewusst, was Cromme da hineingeschrieben hatte. Und so, wie es da stand, fügten sie beschämt hinzu, hätten sie das nie genehmigt. Ihre Scham, fand ich, war berechtigt. In existenziellen Angelegenheiten, die über Wohl und Wehe von einer drei viertel Milliarde Menschen entscheiden, ist äußerste Gewissenhaftigkeit gefordert. Und daran haben es die Euro-Jubler fehlen lassen.
Es gibt Ausnahmen. Anders als die Mehrheit der DAX -30-Chefs macht sich der zurzeit wohl erfolgreichste von ihnen, der Vorstandschef der Linde AG Wolfgang Reitzle, über die Kunstwährung keine Illusionen. Im Spiegel hat er 2012 die Euro-Politik der Bundesregierung kritisiert und dem Währungsverbund eine düstere Prognose gestellt. »Wenn es nicht gelingt«, sagte er, »die Krisenländer zu disziplinieren, muss Deutschland austreten.« Auch eineinhalb Jahre später sind diese Länder, nüchtern betrachtet, von der erforderlichen Haushaltsdisziplin weiter entfernt denn je – und werden es wohl immer bleiben. Genauso wie Deutschland im Währungsverbund bleiben wird, koste es, was es wolle.
Damals wurde kolportiert, dass Wolfgang Reitzle nach seinem kritischen Spiegel -Gespräch einen Anruf aus dem Kanzleramt erhielt. Die Botschaft: Er möge künftig derlei Kritik an der Politik der Kanzlerin unterlassen. Merkels Etikett für Gedanken, die nicht auf ihren Radarschirm passen, lautet bekanntlich »nicht hilfreich«. Ich kann gut verstehen, dass Wolfgang Reitzle nicht aus dem Nähkästchen plauderte – vor allem da es sich um das der Kanzlerin handelte.
In einem Buch über die Euro-Lügner darf Angela Merkel nicht fehlen. Nicht, dass ich sie für eine Lügnerin halte, aber 2013 verlieh ihr der Spiegel den Ehrentitel Kanzlerin »Gespaltene Zunge«. Diese wenig schmeichelhafte Bezeichnung trifft zumindest insofern zu, als sie wie keine andere Persönlichkeit der Gegenwart die Zweiteilung unserer Gesellschaft verkörpert – in das, was man sagt, und das, was man lieber nicht sagt. In das, was man sagt, und das, was man eigentlich damit meint. In das, was man sagt, dass man tun will, und das, was man dann tut. Oder eben nicht tut. In dieser Aufspaltung der Politik in open agenda und hidden agenda ist Angela Merkel einsame Meisterin. Vielleicht würde es ohne ihre doppelte Buchführung gar keine Euro-Schizophrenie geben, würde unsere Öffentlichkeit nicht von Euro-Lügnern in die Irre geführt.
Zugegeben, »Lügner« ist ein hartes Wort. Es brandmarkt den Betroffenen, es schneidet ihm förmlich die Ehre ab. Zu Recht wehren sich jene, die als Lügner bezeichnet werden, vor Gericht. Es ist dann Sache eines weisen Richters, zu entscheiden, ob jemand wissentlich und willentlich die Unwahrheit gesagt hat oder ob er sich einfach getäuscht hat, also versehentlich die Unwahrheit sagte, die er für die Wahrheit hielt. Oft ist nachträglich gar nicht mehr festzustellen, ob jemand log oder sich täuschte.
Schwer auseinanderzuhalten ist auch, ob jemand sich täuschte oder andere täuschte. Oder ob jene, die sich getäuscht glaubten, sich selbst getäuscht haben, weil sie nicht begriffen, was ihnen gesagt wurde. Wie oft täuscht man sich im Lauf eines Tages? Andrerseits – wie oft täuscht man andere im Lauf eines Tages? Das ist keine juristische, sondern eine Gewissensfrage. Ob jemand gelogen hat oder nicht, ist dagegen keine Gewissensfrage, sondern eine Tatsache.
Der Unterschied zwischen Lüge und Täuschung besteht auch darin, dass es zur Täuschung keiner Worte bedarf. Eine Lüge ist immer an Worte gebunden, folglich auch aufschreibbar. Alles Geschriebene aber ist ein Dokument. Ob es der Wahrheit entspricht oder unwahr ist, lässt sich als Tatsache feststellen. Eine Unwahrheit wird aber erst zur Lüge, wenn ein Zweck nachweisbar ist, lateinisch cui bono – »Wem nützt es?«. Ohne Nutzen keine Lüge. Ein Spinner lügt nicht, sondern faselt, fantasiert, fabuliert.
Politiker sind normalerweise keine Spinner. Ihr ganzes Dasein ist einem praktischen Zweck gewidmet, nämlich dem, ihre politische Anschauung durchzusetzen. Oft kollidiert diese mit der Wirklichkeit, und um seiner Linie treu zu bleiben, passt man entweder die eigene Überzeugung der
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