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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Seite hatte David Platz genommen, neben ihm saßen Judith und ihre Tochter. Esther hatte ihren Stuhl ganz nah an Yehiels Sitz am anderen Tischende herangerückt und hielt unter dem Tisch verstohlen seine Hand – was Jakob, der ihr gegenübersaß, nicht entging.
    »Elija, wie wäre es, wenn wir unsere beiden Turteltäubchen Yehiel und Esther bald verloben?«, fragte er mit einem Schmunzeln.
    Yehiel lief schamrot an und legte hastig beide Hände auf den Tisch. Esther senkte den Blick.
    »Das solltest du mit David besprechen, Jakob. Er ist Esthers Vater, nicht ich.«
    Ich fing einen Blick von Aron auf: Bist du sicher?
    David hatte es bemerkt und sah mich irritiert an. Hatte Aron ihm verraten, dass ich mit Judith geschlafen hatte? Als ich seinem Blick standhielt, wandte er sich an Jakob: »Yehiel würde mir als Schwiegersohn gefallen. Aber vielleicht sollten die beiden selbst entscheiden, ob sie heiraten wollen.«
    Dann segnete ich das Brot und brach es.
    Marietta bestreute es mit Salz und aß. Sie bemerkte meinen fragenden Blick. »Ich bin erst vor wenigen Monaten konvertiert«, gestand sie mit einem verlegenen Lächeln. »Ich habe den Schabbat niemals aufgegeben.«
    Aron drückte ihre Hand.
    »Es ist schwierig, als Converso den Schabbat zu halten«, sagte ich, während ich ihren Weinbecher füllte. »In Granada beobachtete man genau, ob wir in die Synagoge oder die Kirche gingen, ob am Schabbat ein Feuer im Kamin brannte, ob wir zu Ehren des Schabbat gebadet hatten und besonders schöne Kleider trugen, ob wir koscher aßen …«
    »Ja, es ist schwierig«, bestätigte Marietta. »Heute war ich das erste Mal seit Monaten zum Gottesdienst in einer Synagoge. Sonst gehe ich am Samstagvormittag und am Samstagnachmittag in die Kirche San Moisè, um zu beten und den Schabbat zu feiern. Und sonntags gehe ich zum christlichen Gottesdienst. Man hält mich für sehr fromm!«
    Sie lächelte verschmitzt bei der Erwähnung der Kirche, die Mosche geweiht war. Es war eine venezianische Eigenart, Kirchen nicht nur nach Heiligen des Neuen Testaments zu benennen, sondern auch nach Propheten des Alten Testaments. San Moisè war eine der wenigen Kirchen, in der kein gekreuzigter Jeschua hing.
    »Bist du fromm?«, fragte ich.
    Marietta zeigte mir den mit Rubinen besetzten Anhänger, den sie an einer goldenen Kette um den Hals trug.
    Auf mein verwirrtes »Was ist das?« antwortete sie: »Ein Kreis, wie du ihn als Jude auf deiner Kleidung aufgestickt trägst. Meiner ist aus Gold und Rubinen gefertigt. Ich bin stolz darauf, Jüdin zu sein. Meine jüdische Nationalität ist nichts, was mit der Taufe abgewaschen werden kann – wie Dreck.«
    »Du trägst das Zeichen als Schmuck? Obwohl du konvertiert bist?«
    »Ja«, sagte sie trotzig.
    »Bitte verzeih mir die Frage: Warum hast du dich dann überhaupt taufen lassen?«
    »Mein Bruder ist Priester in Rom.« Marietta verstummte und warf Aron einen unsicheren Blick zu.
    »Erzähl uns deine Geschichte, meine Liebste. Elija, David und ich haben keine Geheimnisse voreinander«, flüsterte Aron und küsste sie.
    »Unser jüdischer Name lautet Halevi. Meine Familie stammt aus Florenz, wo wir seit der Sintflut gelebt haben«, begann Marietta. »In Florenz gibt es erst seit kurzem eine große jüdische Gemeinde, da die Medici die jüdische Pfandleihe in der Stadt verboten hatten. Doch jüdische Familien leben schon seit Jahrhunderten dort.
    Im Jahr 1437 ließ Cosimo de’ Medici, der Großvater von Lorenzo il Magnifico, dann auch jüdische Bankiers nach Florenz ziehen, und die Gemeinde wuchs. Das Schicksal unserer Familie war immer eng mit dem der Medici verknüpft – nicht nur wegen der gemeinsamen Geschäftsinteressen. Die Halevis in Florenz waren eine Dynastie von Rabbinen. Einer meiner Verwandten, Rabbi Isaak, arbeitete eng mit dem berühmten Gelehrten Giovanni Pico della Mirandola zusammen und begleitete ihn auch zur Disputation seiner berühmten Thesen nach Rom.
    Unsere Familie stand unter dem Schutz von Lorenzo il Magnifico, der uns trotz der Hetzpredigten fanatischer Mönche zwei Mal vor der Ausweisung bewahrte. Als die Medici im November 1494 gestürzt wurden und der Dominikanermönch Savonarola seinen Gottesstaat errichtete, drohte uns Juden wieder einmal die Vertreibung. Aber wir kauften uns frei und blieben in Florenz.
    Ich war noch ein Kind, als Savonarola die ›Fegefeuer der Eitelkeiten‹ entzünden ließ. Und auch an seinen Märtyrertod auf dem Scheiterhaufen kann ich mich erinnern –

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