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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Evangelium bezeichnen kann!«
    »Überlass diese Papierfetzen den Christen, damit sie sich ein Evangelium daraus zusammenfantasieren! Wenn es sie glücklich macht!«, brauste er auf.
    »Mich macht es aber nicht glücklich! Meine Frau und mein Sohn sind im Zeichen des Kreuzes gestorben! Ich will nicht, dass das, was Sarah und Benjamin in Córdoba widerfahren ist, im Namen des christlichen Glaubens irgendeinem anderen Juden geschieht! Diese Aufgabe ist notwendig , im wahrsten Sinn des Wortes!«, beharrte ich entschlossen. »Unser verlorener Bruder Jeschua sagte: ›Kehrt um und folgt mir nach‹. Er sagte nicht: ›Wartet, ich werde euch durch meinen Opfertod erlösen‹.«
    »Elija …«, versuchte Jakob mich zu beschwichtigen, aber ich war noch nicht fertig:
    »Preise mich, spricht Adonai, dann weiß Ich, dass du Mich liebst. Verfluche Mich, dann weiß Ich, dass du Mich nicht vergessen hast. Aber wenn du alles hinnimmst, was dir angetan wird, ohne zu glauben, ohne zu zweifeln, ohne gegen das Unrecht aufzubegehren, ohne zu handeln , dann habe Ich dich vergeblich erschaffen. –
    Jakob, ich will nicht, dass Gott mich vergeblich erschaffen hat!«
    »Herr, schenke meinem Freund die Gnade der Einsicht! Du riskierst den jüdischen Bannfluch!«, warnte Jakob mich eindringlich. »›Wer den Göttern opfert, außer Adonai allein, der soll mit dem Bann belegt werden!‹ Zweites Buch Mosche, Kapitel 22, Vers 19 – falls dir die Stelle, die du nachschlagen solltest, entfallen ist.«
    »Ich diene keinem fremden Gott!«, verteidigte ich mich.
    »Du übersetzt die Evangelien ins Hebräische!«
    »In Granada habe ich die Evangelien ins Arabische übertra…«
    »Da warst du ein Converso«, fegte er den Rest meines Satzes zur Seite. »Jetzt gibst du vor, ein Jude zu sein!«
    »Ich bin ein Jude …«
    »… der den Bannfluch riskiert!«, übertönte er mich.
    »Zweifelst du an mir, Inquisitor?«
    Er rang den gesunden Arm und trat zum Fenster, um zum Campo San Luca hinabzusehen.
    »Nein, ich zweifele nicht an dir, Elija«, sagte er schließlich. »Aber nicht alle denken wie ich. Venedig ist für uns Juden das Paradies, aus dem wir jederzeit vertrieben werden können. Du weißt doch selbst, dass erst vor wenigen Wochen der Consiglio dei Dieci wieder einmal über die Ausweisung aller Juden debattiert hat. Und nicht nur die Insel Murano war im Gespräch, sondern auch die Terraferma!
    Willst du denn mit deinem Buch den Zehnerrat gegen dich aufbringen? Willst du eine Untersuchung des Consiglio dei Dieci riskieren, dessen Inquisitoren mithilfe der Folter herausfinden werden, dass Rabbi Elija Ibn Daud eigentlich Juan de Santa Fé heißt und zwei Jahre im Kerker der spanischen Inquisition verbrachte?
    Weißt du, dass die Geheimpolizei des Zehnerrates vor einigen Tagen Salomon Ibn Ezra mitten in der Nacht in den Dogenpalast geschleppt hat, weil er, ein sefardischer Converso, sich in Venedig zum Judentum bekennt? Elija, sei vernünftig: Du riskierst dein Leben!«
    »Ich bin bereit, mich zur Heiligung des Gottesnamens zu opfern! Ich war es an jenem Karfreitag in Córdoba, und ich bin es noch!«
    »Ist sie das auch?«
    Ich schwieg betroffen.
    »Wozu riskierst du den Bannfluch? Wozu riskierst du dein Leben? Für ein Buch, das niemals erscheinen wird – das werden der Doge und der Zehnerrat nicht zulassen, denn es würde die römische Inquisition nach Venedig bringen.
    Und selbst wenn es in Florenz oder Rom gedruckt werden sollte, wird man es auf dem Scheiterhaufen verbrennen, weil es häretisch ist – wie deine arabischen Evangelien in Córdoba lichterloh brannten, und mit ihnen Sarah und Benjamin. Und selbst wenn die Kirche das Verlorene Paradies nicht vernichtet, wird es die jüdische Gemeinde tun, denn es ist auch für uns Juden Häresie!
    Elija, ich flehe dich an: Geh diesen Weg nicht weiter! Er führt ins Verderben.«

· C ELESTINA ·
K APITEL 9
    Als Tristan mich im Schlaf umarmte, schlug ich im zartblauen Licht der Morgendämmerung die Augen auf.
    Sein Atem streichelte meine Wange. Ein zauberhaftes Lächeln lag auf seinen Lippen. Wovon träumte er?
    Ich drehte mich zu ihm um und küsste ihn, doch er erwachte nicht.
    Seit wir uns in der letzten Nacht geliebt hatten, lag das Bettlaken zerwühlt am Fußende des Bettes.
    Ich erinnerte mich an jene Nacht, als ich ihn wissen ließ, dass ich ihn nicht heiraten würde. Wie enttäuscht er gewesen war – nach allem, was er in den letzten Jahren für mich getan hatte! »Du wirst mich nicht

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