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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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kann uns trennen.«
    Dann küssten Aron und Marietta sich sehr innig.
    Mein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen.
    Was sollte ich tun?
    Mich still zurückziehen? Oder mich ihnen offenbaren?
    Mein Bruder, der nicht mehr Aron, der Jude, nicht mehr Fernando, der Christ, sein wollte, der an Weihnachten in einer Kirche heiraten wollte, verlobte sich in einer Synagoge!
    »Ich will ein Mensch sein, nur noch ein Mensch. Glaubst du, nach allem, was ich erlitten habe, dass Gott mir diese Gnade gewährt?«, hatte er mich verbittert gefragt, bevor er aus dem Haus stürmte, zu Marietta floh und mir jede Gelegenheit nahm, mich mit ihm zu versöhnen.
    Durfte ich meinem Bruder diese Gnade verwehren, ein Mensch zu sein, der sich nach Liebe und Geborgenheit sehnte?
    Durfte ich ihn einem christlichen Priester in die Arme treiben, indem ich mich als Rabbi weigerte, die Verlobung anzuerkennen, an der unsere Familie zu zerbrechen drohte?
    Durfte ich ihm die Zärtlichkeit und Liebe vorenthalten, nach der ich mich selbst so verzweifelt sehnte?
    Der hölzerne Boden knarrte, als ich einen Schritt aus den Schatten heraustrat.
    Erschrocken fuhr Aron herum. »Elija!«
    Ich umarmte meinen Bruder. »Als dein Rabbi erkläre ich die Verlobung für rechtsgültig«, sagte ich auf Italienisch, damit Marietta mich verstehen konnte. »Masel tow, Aron, masel tow!«
    Erleichtert lehnte er sich gegen mich. »Danke, Bruder!«
    Dann ließ ich ihn los und wandte mich zu Marietta um.
    Mit ihren blauen Augen und den goldblonden Locken, die in langen Kaskaden über ihre Schultern flossen, sah sie aus wie eine schöne Venezianerin. Sie war anmutig, doch ihre aufrechte Haltung zeugte trotz ihrer Jugend – sie war höchstens fünfundzwanzig – von einem stolzen, unbeugsamen Willen. Ich verstand sehr gut, warum Aron sich in sie verliebt hatte.
    Ich umarmte sie herzlich und küsste sie zart auf beide Wangen. »Wie schön, dich endlich kennen zu lernen, Marietta. Sei willkommen in meiner Familie!«
    »Ich danke dir, Elija«, hauchte sie bewegt. »Dein Segen bedeutet uns sehr viel!«
    Von meinen Gefühlen überwältigt trat ich einen Schritt zurück. »Es ist schon spät, und ihr beide wollt gewiss heute Nacht allein sein und sehr leidenschaftlich Gottes Gebot der Liebe erfüllen.« Als Aron mich erstaunt ansah, sprach ich weiter: »Marietta, ich wäre glücklich, wenn du am Schabbat zu uns kämst, um Yehiels Bar-Mizwa mit uns zu feiern.«
    Aron fiel mir um den Hals, wirbelte mich herum und küsste mich auf beide Wangen.
    »Elija, ich liebe dich!«, rief er glücklich. »Du bist der beste Bruder, den ich mir wünschen kann!«

    Ich zog den Tallit vom Kopf und legte ihn mir um die Schultern – der Gottesdienst war beendet.
    Während die Gläubigen die Synagoge verließen, stieg Jakob zu mir auf die Kanzel und umarmte mich herzlich mit dem linken Arm. »Das war wirklich ein bewegender Gottesdienst. Sieh nur, wie glücklich Yehiel ist: Er hat den Wochenabschnitt aus der Haftara, den Prophetenbüchern, so schön gesungen!«
    Der stolze Vater wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel und deutete zu seinem Sohn hinüber, der immer noch ganz aufgeregt bei Aron und Marietta stand.
    »Es war ein ganz normaler Schabbat-Gottesdienst mit der Aushebung der Tora aus dem Schrein und dem Verlesen des Wochenabschnittes aus der Tora und dem Buch Jeremia. Wir Sefardim feiern ihn auf diese Weise. Wenn dir unser Ritus gefallen hat, komm doch nach dem Schawuot-Fest zu mir – wir können dann in Ruhe über deinen Übertritt zum sefardischen Judentum sprechen …«
    Mein Freund knuffte mich lachend in die Rippen. » Ich soll konvertieren? Niemals! Ich bin und bleibe ein Aschkenasi, ein deutscher Jude, auch wenn ich nun in Venedig lebe. Aber ein rabbinisches Streitgespräch können wir gern mal wieder führen.«
    »Ja, das wäre schön«, stimmte ich zu, als ich ihm die Treppe der Kanzel hinab folgte.
    Celestina erwartete mich. Wir umarmten und küssten uns.
    »Hat es dir gefallen?«, fragte ich sie.
    Sie nickte. »Es war, als ob du den Gottesdienst zur Bar-Mizwa-Feier deines eigenen Sohnes gehalten hättest.«
    Arm in Arm verließen wir den Gebetssaal. David und Judith, Aron und Marietta, Jakob, Yehiel und Esther folgten uns zu unserem Haus, wo ein Festessen auf uns wartete.
    Ich sprach den Kiddusch über dem Wein, dann reichte ich den Becher an die anderen weiter, damit sie daraus tranken.
    Celestina saß, wie schon am letzten Schabbatmahl, rechts neben mir. An ihrer

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