Die Evangelistin
verlieren«, hatte ich ihm versprochen. »Wie du für mich da warst, werde ich immer für dich da sein.«
Nein, ich konnte Tristan nicht verlassen.
Ich konnte ihm nicht gestehen, dass ich einen anderen Mann liebte und dass mir diese Liebe das Herz zerriss. Ich konnte ihm nicht sagen, was ich für Elija empfand.
Ich durfte es nicht.
»Ich werde dich lieben und ehren, bis der Tod uns trennt«, hatte er vor vier Nächten geschworen. »Und jeden Tag meines Lebens werde ich um dich kämpfen.«
Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn Tristan von Elija erfahren hätte. Tristan war ein Kämpfer, der sich auch mit mächtigen Gegnern wie Antonio anlegte, um mich aus dem Exil zurückzuholen. Und er war ein Sieger. Wer mit siebenundzwanzig Jahren zum Vorsitzenden des Zehnerrates gewählt wurde, hatte den Zenit seiner Macht noch lange nicht erreicht. Tristan konnte in einigen Jahren Doge werden – wenn nicht bekannt wurde, dass seine Geliebte eine Affäre mit einem jüdischen Rabbi hatte und gemeinsam mit ihm ein ketzerisches Buch verfasste, das beide auf den Scheiterhaufen bringen konnte.
Ich brauchte Tristans liebevolle Freundschaft mehr denn je! Nein, ich durfte ihn nicht verlassen!
Und Elija? Ahnte er, was Tristan und ich füreinander empfanden?
Er hatte die Rosen auf der Treppe gesehen, die Tristan mir geschenkt hatte. Bei jedem seiner Besuche hatte er sie welken gesehen und sich gewiss gefragt, warum ich sie nicht entfernen ließ. Ich konnte es nicht, denn ich hatte keine Ahnung, wann Tristan nach jener Nacht zu mir zurückkehren würde. Wie enttäuscht er gewesen war! Und gewiss wäre er noch verletzter gewesen, wenn Alexia die Blüten, das Zeichen seiner Liebe, weggeworfen hätte.
Zudem waren die welkenden Rosen die einzige Möglichkeit, Elija ohne Worte zu sagen, dass es einen anderen Mann in meinem Leben gab. Wie hätte Elija reagiert, wenn ich ihm von der innigen Liebe zwischen Tristan und mir erzählt hätte? Von den ausgelassenen Ritten nach Padua und von den Liebesnächten in der Gondel auf der Lagune? Von unserem Liebesschwur in Florenz, als wir die Ringe tauschten? Die welkenden Rosen würde Elija richtig deuten, so hatte ich gehofft.
Zuerst war er sehr still gewesen. Nachdenklich. Traurig. Während wir zusammen arbeiteten, hatte ich seine Hand gehalten, und er hatte sie mir nicht entzogen. Und als er zum späten Abendgebet nach Hause zurückkehrte, hatte er mich geküsst und »Hasta mañana!« geflüstert. Aber in jener Nacht hatte ich wach gelegen und mich gefragt, ob es ein Morgen geben würde. Würde Elija über die Blüten hinwegsteigen, um zu mir zurückzukehren?
Er kam.
Und ich war glücklich.
Bis gestern Nachmittag.
Elijas Streit mit Jakob hatte mich entsetzt. Zwischen den beiden Freunden waren die Funken des Zorns geflogen. Ich war ihnen nachgegangen, weil ich die betroffenen Gesichter bei Tisch nicht ertragen konnte: Marietta hatte mit den Tränen gerungen, Aron hatte ein Glas Wein nach dem anderen hinuntergestürzt, und David hatte sich in sein Schweigen verbissen.
Als ich die Treppe zu Elijas Arbeitszimmer emporstieg, hatte ich den Streit durch die geschlossene Tür gehört.
»Elija, sei vernünftig: Du riskierst dein Leben!«, hatte Jakob seinen Freund beschworen.
»Ich bin bereit, mich zur Heiligung des Gottesnamens zu opfern! Ich war es an jenem Karfreitag in Córdoba, und ich bin es noch!«, hatte Elija entschlossen geantwortet.
Erschrocken war ich auf der Treppe stehen geblieben, unfähig, auch nur einen Schritt weiterzugehen.
Wie lange ich auf den Stufen gesessen hatte, weiß ich nicht mehr. Schließlich hatte ich mich erhoben und war wieder zu den anderen hinuntergegangen. David, der mir meine Seelenqualen ansah, hatte mich nach Hause begleitet und sich mit einem sehr liebevollen Kuss von mir verabschiedet. Und mit einem traurigen, hoffnungslosen Blick, der mir offenbarte, was er für mich empfand.
Lange nach Mitternacht war Tristan gekommen. Während der Nacht war der Prozess gegen Salomon Ibn Ezra fortgesetzt worden. Der Converso war im Gefängnis des Dogenpalastes gefoltert worden. Tristan hatte ihn verhört, bis Ibn Ezra unter den Torturen ohnmächtig geworden war.
Tristan war erschöpft, unruhig und in der Seele aufgewühlt. In den vergangenen Nächten hatte er wegen des Prozesses keine Ruhe gefunden. Wir hatten stundenlang miteinander gesprochen. Tristan hatte sich alles vom Herzen geredet, was ihn quälte. Seine Angst um mich, seit der Anschlag auf mich verübt
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