Die Evangelistin
den Campo, die Gasse entlang zum Canal Grande.
An der Riva blieb Aron entsetzt stehen. »Das darf nicht wahr sein!«
David zog ihn mit sich fort. Ich folgte ihnen zum Ponte di Rialto, wo die Wächter aufgeregt diskutierend zum feurigen Inferno hinüberstarrten. Erst vor wenigen Jahren war die hölzerne Brücke, die einzige Verbindung über den Canal Grande, gemeinsam mit dem nur wenige Schritte entfernten Fondaco dei Tedeschi abgebrannt. Eine Katastrophe!
Die Brücke war hochgezogen.
Aron bestürmte die Wächter, uns hinüberzulassen – vergeblich! Als mein Bruder in seinem ohnmächtigen Zorn auf die Bewaffneten losgehen wollte, zerrten David und ich ihn fort.
»Wir schwimmen hinüber!«, entschied ich und warf meine Brokatjacke fort. Dann sprang ich in den Kanal und schwamm mit der ledernen Tasche auf die andere Seite.
David und Aron folgten mir.
An einem Bootssteg kletterten wir an Land und rannten an der Fondamenta del Vin entlang in Richtung der Brücke. Dann bogen wir nach links in eine Gasse, die zum Rialtomarkt führte.
»Diese verfluchten Gojim!«, brüllte Aron, als wir vor seinem Kontor anlangten. Mein Bruder rang hilflos die Fäuste: Das Haus brannte lichterloh.
Ein paar Anwohner hasteten mit Eimern zum Canal Grande, um den um sich greifenden Brand zu löschen, bevor das ganze Stadtviertel, der Rialtomarkt mit den Lagerhäusern, der Ponte di Rialto und der Fondaco in Flammen standen.
Hufgetrappel.
Ich fuhr herum: Tristan, wie David, Aron und ich in Hemd, Hosen und Stiefeln, galoppierte vom Campo di San Polo heran. Ein Signor di Notte folgte ihm – anscheinend hatte er Tristan aus dem Bett getrommelt.
Vor dem brennenden Haus zügelte Tristan seinen panisch scheuenden Hengst und sprang aus dem Sattel. Als er mich im Feuerschein erkannte, warf er die Zügel dem Signor di Notte zu und eilte zu mir herüber.
Sein Blick suchte meinen, aber offenbar wusste er nicht, wie er sich mir gegenüber verhalten sollte. Schließlich wies er auf das brennende Haus. »Es tut mir Leid, Elija. Das ist … das war das Kontor Eures Bruders, nicht wahr?«
Ich nickte stumm.
»Ich werde eine Untersuchung des Consiglio dei Dieci anordnen«, murmelte er. »Ein Anschlag auf eine jüdische Bank ist ein Gewaltverbrechen gegen die Republik Venedig.«
»Das ist sehr freundlich von Euch, Tristan.«
Er war überrascht, weil ich ihn mit seinem Vornamen ansprach.
Aron, der unsere Unterhaltung verfolgt hatte, stürmte plötzlich an uns vorbei zum Portal des Kontors.
»Aron!«, rief ich ihm erschrocken nach, doch er blieb nicht stehen, sprang über einen herabgestürzten Haufen Fassadenziegel und rannte in das brennende Haus. Offenbar wollte er retten, was noch zu retten war: den schweren Tesoro mit den Goldmünzen!
Ohne zu überlegen, folgte ich meinem Bruder.
Der dichte Rauch raubte mir den Atem, und die Hitze des Infernos versengte mir die Haare. Ich zog mein nasses Hemd aus und wickelte es mir um den Kopf. Schritt für Schritt kämpfte ich mich durch die Flammen.
Wo war Aron?
Ich fand ihn im nächsten Raum. Er hockte vor dem Tesoro, einer Stahlkassette – zu schwer, um sie aus der Feuersbrunst zu retten. Inmitten der prasselnden Flammen versuchte mein Bruder mit einem Schlüssel das Schloss zu öffnen. Schließlich hob er den schweren Deckel an. Ich kniete mich neben ihn und half ihm, die Goldmünzen in die mitgebrachte Tasche zu werfen.
»Und die Kreditverträge?«, fragte ich. Ich musste brüllen, damit er mich verstand.
Er schüttelte stumm den Kopf und reichte mir die schwere Tasche. Dann hastete er zum Tisch, wo ein Haufen Dokumente lichterloh brannte, und warf das brennende Bündel in den Tesoro.
»Wo ist das Kontobuch?«
Wortlos wies er auf den leeren Arbeitstisch.
Es war verschwunden!
In diesem Augenblick tauchte Tristan keuchend und hustend neben uns auf.
Sein Blick irrte von Aron zu mir – waren wir unverletzt? –, zu den brennenden Dokumenten im Tesoro, die er offensichtlich für vernichtete Kreditverträge hielt.
Ein furchtbarer Verdacht stieg in mir hoch.
»Raus aus diesem Höllenfeuer, bevor das Haus einstürzt!«, brüllte Tristan, packte Aron und mich am Arm und zog uns durch die lodernden Flammen in Richtung der Gasse.
Ein brennender Deckenbalken krachte direkt vor uns zu Boden und versperrte uns den Fluchtweg zur Tür. Gleich darauf folgte ein zweiter, glühend und schon fast verkohlt.
»Aron … Elija … springt!«, rief Tristan hustend und schützte sein Gesicht mit den erhobenen
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