Die Evangelistin
hatte sich darüber aufgeregt.
Und nun war Arons Ausfertigung des Vertrages vernichtet.
Das dachte Tristan jedenfalls, nachdem er die brennenden Papiere im offenen Tesoro gesehen hatte, die Aron absichtlich dort hineingeworfen hatte.
Zugegeben: Mein Bruder war gerissen!
Die Sonne war bereits untergegangen, als ich am nächsten Abend zur Ca’ Tron ruderte. Müde betrachtete ich die ersten funkelnden Sterne am Abendhimmel.
Ich war müde, denn wegen des Brandes hatte ich kaum geschlafen. Die ganze Nacht hindurch hatten wir Wassereimer geschleppt, um das Feuer zu löschen, das sich bis zum Morgengrauen durch zwei weitere Häuser gefressen hatte. Die Funken des lodernden Infernos waren bis zum Ponte di Rialto geweht worden – und nicht alle waren in der Luft verglüht. Dann, im ersten Licht des neuen Tages, hatten wir das Feuer endlich besiegt.
Während ich meine Gondel durch den Canal Grande steuerte, dachte ich über das Gespräch mit Aron nach.
»Wen hast du im Verdacht?«, hatte ich gefragt.
»Tristan Venier.« Als ich nickte, fügte er hinzu: »Und Antonio Tron.«
»Wie hoch ist sein Kredit?«
»Sechstausend Zecchini.«
»Wann hat er dich um das Geld gebeten?«
»Vor fünf Jahren.«
»Warum zahlt er dir die Summe nicht zurück?«
»Er kann es nicht. In den vergangenen Jahren hat er als Prokurator der Serenissima fast sein gesamtes Vermögen geliehen, doch wegen des andauernden Krieges ist die Republik nicht in der Lage, ihm das Geld zurückzuerstatten. Antonio Tron kann kaum noch seine Steuern begleichen. Immer wieder bittet er mich um Geduld.«
»Zahlt er denn wenigstens die Zinsen?«, hatte David sich eingemischt.
Aron hatte den Kopf geschüttelt. »Der Betrag, den er mir schuldet, wird immer höher. Im Augenblick sind es zehntausend Zecchini – inklusive der Zinsen.«
»Um Himmels willen, Aron! Wie kannst du das tun!«, hatte David sich aufgeregt. »Sag nur, du hast von Antonio Tron wie von Tristan Venier keine Sicherheiten verlangt.«
»Doch, das habe ich – wenn er mir auch keine Juwelen hinterlegt hat«, hatte Aron ruhig geantwortet. »Der Prokurator Antonio Tron, einer der mächtigsten Männer nach dem Dogen, wird sich mit seinem ganzen Einfluss für die dauerhafte Verlängerung der Condotta zwischen der jüdischen Gemeinde und der Republik Venedig einsetzen – zu vernünftigen Bedingungen.
In unserem letzten Gespräch in den Prokuratien habe ich ihm das Versprechen abgerungen, dass er seinen Freund Zaccaria Dolfin davon abhält, im Senat weiterhin die Ausweisung der jüdischen Gemeinde nach Murano oder auf die Terraferma zu fordern.«
»Tristan will den Anschlag auf dein Kontor durch den Consiglio dei Dieci untersuchen lassen«, hatte ich meinen Bruder erinnert. »Wirst du dem Zehnerrat von Antonio Trons Kredit erzählen?«
»Selbstverständlich nicht! Meinst du, ich will in der Gefängniszelle neben Salomon Ibn Ezra landen? Der Vertrag entspricht nicht den Bestimmungen der Condotta.«
David hatte verzweifelt die Hände gerungen.
»Wer könnte das Feuer sonst noch gelegt haben?«, hatte ich gefragt.
»Zaccaria Dolfin, dieser verdammte Judenhasser. Der Franziskanermönch Fray Santángel, der vor meinem Kontor den Zorn Gottes auf mich herabfleht. Und Chaim.«
»Chaim Meshullam, Ashers Bruder?«
»Vor ein paar Tagen sind wir wegen der Lieferung des Purpurs aus Alexandria heftig aneinander geraten. Es passt ihm nicht, dass ich Geschäfte mit dem Vatikan mache. Ich vermute, dass er mich bei den venezianischen Behörden verraten hat. Chaim und ich sind die reichsten jüdischen Bankiers in Venedig. Ein unsignierter Brief in eine Bocca di Leone, und der Rat der Zehn muss reagieren. Tristan Venier erpresste mich mit eben jenem anonymen Brief, um den Kredit über zehntausend Zecchini von mir zu bekommen.«
»Aber wenn der Brief nicht unterschrieben war, woher weißt du dann …«
»Rechts oberhalb der ersten Zeile, über dem ›So che Aron ha fatto – ich weiß, was Aron getan hat‹, stand ein hebräisches Schriftzeichen. Tristan Venier hielt es für eine unleserliche Unterschrift oder ein persönliches Zeichen. Aber es war eine hebräische Segnung, bestehend aus den schwungvoll verbundenen Buchstaben Bet und Hei: ›Baruch Ha-Schem – Gelobt sei der Name Gottes.‹ Entweder hat ein Jude diesen Brief geschrieben oder ein Christ, der den Eindruck erwecken will, ein Jude habe mich verraten.«
Während ich gemächlich durch den Canal Grande ruderte, schweifte mein Blick suchend über
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