Die Evangelistin
gesagt?«
Er nippte am Wein, dann stellte er das Glas weg. »Dass Celestina sich in dich verliebt hat.«
Menandros wich meinem Blick nicht aus.
»Und was ist gestern Nacht geschehen?«
»Tristan saß auf der Treppe und betrank sich, als sie vom Bankett im Dogenpalast nach Hause kam. Er fragte sie: ›Gibt es Liebe ohne Leiden?‹, und sie antwortete: ›Nein.‹ Er ahnte, dass ihr im ›Königreich der Himmel‹ gewesen wart und dass ihr euch dort geliebt hattet. Er war enttäuscht und zutiefst gedemütigt. Eure innige Liebe zerreißt ihm das Herz.
Aber dann erklärte er traurig, dass er nichts dagegen sagen werde, wenn ihr euch liebt. ›Wenn du dich mit Elija amüsieren willst, lasse ich dir dein Vergnügen. Und wenn eines Tages das Feuer deiner Leidenschaft ausgebrannt ist, dann komm zurück zu mir. Ich werde auf dich warten, Celestina. Gleichgültig, wie lange es dauert: Ich werde immer auf dich warten! Wenn du mich suchst, dann weißt du, wo du mich finden kannst: in der Hölle!‹ Dann ist er aufgestanden und gegangen. Ich glaube, er hat geweint.«
Deshalb war Tristan so bestürzt gewesen, als er mich im Feuerschein von Arons brennendem Kontor erkannte!
Verstohlen beobachtete mich Menandros über den Rand seines Weinglases hinweg.
»Nachdem Tristan nun ihr Bett verlassen hat … wie wirst du dich mir gegenüber verhalten?«
»Ich weiß es noch nicht«, gestand er ehrlich. »Ich schätze dich als Gelehrten und als Mensch. Ich finde es wundervoll, wie du mit Respekt und Toleranz das ›verlorene Paradies‹ neu zu erschaffen versuchst. ›Das messianische Friedensreich ist schon gekommen‹, hätte Christos gesagt, ›es ist schon da, mitten unter euch‹: Ein jüdischer Rabbi, eine Humanistin und ein orthodoxer Priester arbeiten friedlich zusammen an der Übersetzung der Evangelien.« Er schwieg einen Augenblick. »Dass du ein Dogma nach dem anderen widerlegst, tut mir sehr weh.«
»Deine Passionszeit hat noch nicht begonnen, Menandros«, entgegnete ich ernst. »Celestina und ich werden morgen mit der Übersetzung von Jeschuas Einzug nach Jeruschalajim beginnen.«
Menandros nickte. »In den nächsten Tagen, wenn du über die Tempelreinigung sprichst, das Abendmahl, die Festnahme im Garten, den Verrat, den Prozess und die Kreuzigung, werde ich wohl noch sehr viel zu leiden haben.
Du bist sehr fromm, Elija. Du und ich, wir haben dasselbe Ziel: Heiligkeit und Vollkommenheit. Und im Grunde glauben wir an dasselbe: die Wahrheit. Ja, wir sind uns sehr ähnlich. Ich glaube sogar, dass wir eines Tages Freunde werden könnten, wenn …«
»… wenn wir nicht beide dieselbe Frau lieben würden?«
Er nickte stumm.
»Celestina und ich lieben uns sehr. Aber das nimmt dir nicht das Recht, sie ebenfalls zu lieben, Menandros. Celestina hat ja nichts dagegen, wenn du sie zärtlich liebkost.«
»Du bist nicht eifersüchtig?«, fragte er überrascht.
»Nein, warum sollte ich? Es ist doch ihre Entscheidung, wen sie lieben will: Tristan, dich oder mich.« Ich trank bedächtig einen Schluck Wein, dann stellte ich das Glas auf den Tisch neben mir. »Celestina liebt Tristan, und sie wird ihn immer lieben. Als mir das gestern Nacht bewusst wurde, war ich enttäuscht – es tat mir im Herzen weh. Aber ich habe kein Recht, von ihr zu verlangen, Tristan nicht mehr zu lieben, wenn es sie doch glücklich macht. Und ich will auch nicht, dass sich ihr Verhältnis zu dir als ihrem Freund und Vertrauten ändert, denn sie will es nicht ändern.«
Menandros sah mich verwundert an. Hatte er befürchtet, er müsste seine Truhen packen und doch noch ins Kloster gehen?
»›Die Liebe ist langmütig und gütig‹, schrieb Paulus an die Korinther. ›Sie ist nicht eifersüchtig. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, duldet alles. Die Liebe hört niemals auf.‹
Und ich sage: Glückselig der, wer durch die Liebe in das Leben zurückgefunden hat, nachdem jahrelang die Flamme der Leidenschaft und des Begehrens in ihm erstorben war. Wer sie wieder in sich spüren kann, der kann wieder lachen und weinen, leiden, hoffen, sehnen und alles ertragen. Glückselig ist, wer die Liebe gefunden hat, denn sie schenkt seinem Leben unermesslich viel Freude. Glückselig ist, wer erkannt hat, dass Lieben heißt, den anderen anzunehmen, wie er ist. Denn er ist ein Geschenk des Himmels.«
Menandros schwieg.
»Ich würde gern dein Freund sein.«
»Du kennst mich nicht.«
»Dann erzähl mir von dir! Du bist ein Rätsel für mich, Menandros.
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