Die Evangelistin
bereits erwartete.
Er sprang vom Stuhl hinter dem Schreibtisch auf und eilte mir entgegen, um mich zu umarmen.
»Wie schön, dass du gekommen bist, Elija«, begrüßte er mich auf Italienisch. »Du glaubst nicht, wie erstaunt ich war, als vor zwei Tagen plötzlich Salomon hier auftauchte und mir verkündete, er habe dir seine Freilassung aus dem Kerker des Zehnerrates zu verdanken.
Wie oft habe ich mit den Consiglieri und dem Dogen gesprochen! Gefleht und gedroht habe ich – vergeblich! Man beharrte darauf, ein Converso, der das Sakrament der Taufe missachtet und sich zum Glauben seiner Väter bekennt, sei eine Gefahr für die Republik. Das Todesurteil schien unabwendbar. Und nun ist Salomon frei! Wie hast du das nur geschafft, Elija?«
Was sollte ich Asher sagen? Ich hatte doch nichts anderes getan, als Salomon im Kerker zu besuchen, um mit ihm zu beten und ihn zu trösten.
»Ich habe mit Tristan Venier gesprochen«, murmelte ich ausweichend. »Während des Banketts im Dogenpalast.«
»Was auch immer du zu ihm gesagt hast, es muss ihn sehr beeindruckt haben. In der folgenden Nacht trat der Consiglio dei Dieci zusammen und hat das Urteil gefällt: Salomon ist unschuldig. Er wurde sofort freigelassen.«
Als ich nicht antwortete, reichte Asher mir ein Glas Wein. Ich sprach den Segen und trank einen Schluck.
»Kennst du Tristan Venier persönlich?«, erkundigte er sich.
»Mhm«, murmelte ich in mein Weinglas.
»Wo habt ihr euch kennen gelernt?«, fragte Asher stirnrunzelnd.
»In der Ca’ Tron«, wich ich ihm aus. »Tristan Venier und Celestina Tron sind eng befreundet. Bei einem meiner Besuche habe ich ihn dort getroffen.«
Asher nickte zufrieden. »Es ist gut, wenn man einen Freund hat, der Vorsitzender im Rat der Zehn ist.«
Tristan und ich sind keine Freunde!, wollte ich sagen, doch ich schwieg.
»Tristan Venier hat keine Angst vor Entscheidungen, die im Senat auf Ablehnung stoßen«, urteilte Asher. »Zaccaria Dolfin soll ihn im Rat der Weisen wütend angegriffen haben. Und der Patriarch hat ihm sehr eindringlich ins Gewissen geredet.«
Asher faltete übertrieben andächtig die Hände zum christlichen Gebet, hob die Augen zum Himmel und bewegte die Lippen, als tue er – wie Tristan – Buße.
Ich verkniff mir ein Lachen. »Woher weißt du das?«
»Ich weiß es eben«, grinste Asher verschmitzt. »Für uns Juden ist es lebenswichtig, dass ich als Führer der Gemeinde weiß, was im Palazzo Ducale debattiert und beschlossen wird. Ist während des Banketts am Sonntag über unsere Ausweisung aus Venedig gesprochen worden?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Hältst du es für möglich, dass die Condotta nicht verlängert wird und wir nach Murano umgesiedelt werden?«, fragte Asher gespannt. »Wie denkt Tristan Venier darüber?«
Tristan würde mich am liebsten bis ans Ende der Welt verbannen!, dachte ich. Denn ich nehme ihm seine Geliebte weg, demütige ihn, verletze seine Gefühle und zerstöre seine Karriere. Tristan war mit siebenundzwanzig noch nicht verheiratet. Ich nahm an, dass er Celestina heiraten wollte, um mit ihr an seiner Seite eines Tages Doge zu werden. Hatte er nicht gesagt, dass er auf sie warten wollte – gleichgültig, wie lange –, bis das Feuer ihrer Leidenschaft verglüht war und die Affäre mit mir beendet? Tristan konnte Celestina nicht zwingen, mich zu verlassen.
Aber mir konnte er das Messer an die Kehle setzen.
»Ich habe keine Ahnung, wie er über unsere Ausweisung denkt.« Ich trank mein Weinglas leer.
Asher schenkte mir nach. »Wie geht es Aron?«
»Er hat sich die Finger verbrannt …«
»Nicht zum ersten Mal«, meinte Asher bissig. »Er sollte sich an die Bestimmungen der Condotta halten und illegale Geschäfte vermeiden, die ihn sonst noch sein Vermögen kosten werden.«
Als ob Asher sich nicht schon selbst die Hände verbrannt hatte!
Drei Jahre zuvor, im Jahr 1512, hatte die Republik Venedig zehntausend Zecchini bei der jüdischen Gemeinde leihen wollen. Als Asher die Bedingungen der Serenissima als unannehmbar ablehnte, war er im Dogenpalast eingekerkert worden, damit er in den Pozzi ›zur Besinnung kam‹ – aber vergeblich. Die jüdischen Bankiers, allen voran Aron, hatten der Republik Venedig gedroht, die Kontore zu schließen und die Stadt zu verlassen, wenn Asher nicht freigelassen würde. Am Ende musste der Rat der Zehn nachgeben und Asher Meshullams Bedingungen akzeptieren.
»Wenn der Wille gegen die Macht kämpft, gewinnt immer die Macht«, pflegte
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