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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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König über dich setzen. Du sollst keinen Fremden, der nicht dein Bruder ist, über dich setzen.‹«
    Ich klappte die Bibel zu.
    »Die Hakhel-Zeremonie, die Lesung des Königsgesetzes im Tempel an Sukkot, war keine feierliche Thronbesteigung. Aber es war die Erneuerung eines sehr alten Rituals, das schon König David und König Salomo durchgeführt hatten. Das Zelebrieren der Königsriten während des Laubhüttenfestes war ein Akt von größter politischer Bedeutung – es zeigte mehr als alles andere Jeschuas Entschlossenheit, die Pflichten eines gesalbten Königs aus der Dynastie der Ben Davids zu erfüllen.«
    Celestina lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Und dann geschah, was geschehen musste: Der Hohe Priester, der seine Macht bedroht sah, griff ein. Er schickte die Tempelwache, um Jeschua zu ergreifen. Es kam zu einem Tumult im Tempelhof, der sich innerhalb weniger Stunden auf die ganze Stadt ausbreitete. Die Evangelien berichten ja von einem blutigen Aufstand, der von einem Mann namens Barabbas angeführt worden war.«
    Ich nickte, während sie zwei Seiten bis zum römischen Prozess unter Pontius Pilatus vorblätterte. Ihr Blick flog über die Seite, dann sah sie mich an.
    »Sag mir, Elija: Wer war Jesus Barabbas?«
    »… und dann kam Baldassare Castiglione zurück nach Rom und bat um eine Audienz. Er erzählte mir, er wäre in Venedig gewesen und hätte dich während der Vermählung mit dem Meer auf der Piazzetta getroffen. Meine herzlichen Grüße und meinen Kuss hätte er dir übermittelt. Ich bin enttäuscht, Celestina, weil du meiner Bitte nicht gefolgt bist …«
    Das sanfte Schaukeln der Gondel auf den Wellen der Lagune und die schwüle Hitze hatten mich schläfrig gemacht. Träge räkelte ich mich im Schatten des über die Bordwand gespannten Lakens und legte meinen Arm um Celestina. Wie ich war sie nackt.
    Nachdem Menandros ihr den Brief des Papstes in die Hand gedrückt hatte, war er zum orthodoxen Gottesdienst verschwunden. Gestern, am Schabbat, als wir über Jeschua als König der Juden sprachen, war er sehr verstört gewesen. Er wollte in Ruhe über alles nachdenken, bevor wir am nächsten Tag das Abendmahl, den Verrat durch Jehuda und die Festnahme auf dem Ölberg übersetzen wollten.
    An diesem Sonntagmorgen waren wir zu Jakobs Haus auf der Insel Giudecca gerudert, um mit Yehiel zu sprechen. Ich hatte ihm erklärt, was er für mich tun sollte, und der Junge hatte gegrinst: Eine Verfolgungsjagd durch Venedig? Welch ein Spaß! Ich hatte Yehiel gewarnt, dass die Sache gefährlich werden konnte und dass er vorsichtig sein sollte, aber Jakobs Sohn winkte lässig ab. Wie lange sollte er den Mann beschatten? Und wann erwartete ich seinen Bericht? Am nächsten Tag? »Kein Problem!«
    Dann waren Celestina und ich in südlicher Richtung auf die Lagune hinausgerudert, um ein paar Stunden allein zu sein.
    Celestina las mir den Brief des Papstes vor, während sie in meinen Armen lag.
    »… hat mir dann beim Abendessen auch von Tristan erzählt, den ihm der Doge an Bord des Bucintoro vorgestellt hat. Deinen Geliebten würde ich gern kennen lernen. Warum kommt ihr nicht für ein paar Wochen nach Rom? Ich würde euch im Vatikan aufnehmen. Dann wärst du immer in meiner Nähe, und wir könnten reden, wie damals, in jenen endlosen Nächten von Venedig. Wenn ihr aber lieber allein sein wollt, könnt ihr den Palazzo Medici in der Nähe des Pantheon beziehen.
    Wie gern würde ich dir die Sixtina zeigen, deren Decke Michelangelo vor drei Jahren fertig gestellt hat! Oder meine neuen Gemächer, die Raffaello ausmalt. Ich flehe dich an, Celestina: Komm endlich nach Rom! Du fehlst mir so …«
    Mit glühenden Worten beschrieb der Papst Rom, das Raffaello als sein Architekt aus Ruinen neu erschuf. Er schwärmte von der neuen Kathedrale von San Pietro, die noch eine Baustelle war: Raffaello riss die eintausendzweihundert Jahre alte Basilika Konstantins ab und errichtete an derselben Stelle die größte Kirche der Welt.
    Als ich sie küsste, faltete sie Giannis Brief zusammen und schmiegte sich an mich.
    »Wirst du seiner Einladung folgen?«
    Sie ließ ihre Hände über meinen nackten Körper huschen – welch ein erregendes Gefühl! »Ich werde ihm schreiben, dass ich an Weihnachten nach Rom kommen will. Dann werde ich Gianni wegen des Imprimaturs für dein Buch fragen. Und da du mich nach Rom begleiten wirst, werde ich dich Seiner Heiligkeit vorstellen.
    Wir könnten ein paar Wochen in Rom bleiben …« Sie küsste

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