Die Evangelistin
kultische Handlung im Sinne einer Konsekration von Brot und Wein in Leib und Blut des Christos durch einen Priester. Und sie war nicht verbunden mit dem Pessach-Fest, sondern fand täglich oder am ersten Tag der Woche statt, also am Sonntag.
Erst Paulus hat den Ritus eines symbolischen Gedächtnismahles geschaffen, einen Erlösungsritus wie in der griechischen Mysterienreligion, die er in seiner Heimatstadt Tarsos kennen gelernt hatte.
Dionysos, der Sohn des Zeus und einer sterblichen Frau, war ein leidender, sterbender und wiederauferstandener Gott. Im Dionysos-Kult gibt es wie in anderen orientalischen und ägyptischen Mysterienkulten ein rituelles Opfermahl, bei dem das göttliche Blut in Form von Wein getrunken wird, um die Communio mit dem Gott zu erreichen.
Seine selbstherrliche Reform des Ritus legitimierte Paulus kühn damit, dass er ›vom Herrn empfangen habe, was er der Gemeinde in Korinth nun weitergab‹. Er vergaß nur zu erwähnen, wann genau das geschehen sein soll, da Paulus Iesous Christos doch niemals begegnet war. Und außerdem verschwieg er seinen erbitterten Streit mit den Führern der judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem: Jakob und Simon Petrus. Was also berechtigte Paulus* zu dieser Reform? Außer seiner eigenen Hybris – nichts!«
»Hast du das dem Professor in Padua so gesagt?«, lachte ich.
»Gewiss doch!«, nickte sie. »Ich habe ihm unwiderlegbar bewiesen, dass Christos das Abendmahl nicht eingesetzt hat. Dass den Juden der Genuss von nicht koscher geschlachtetem Fleisch und Blut verboten ist und dass die Vorstellung des rituellen Verzehrs von geopfertem Menschenfleisch absurd ist. Dass das Dogma von der Transsubstantiation, beschlossen auf dem unseligen Laterankonzil von 1215, docta ignorantia ist: gelehrter Unsinn. Quod erat demonstrandum!
Ich wusste, dass ich scheitern würde. Macht hat Recht, die Kirche hat Macht, also hat die Kirche Recht. Scheinbar aristotelische Logik, die nicht erst bewiesen werden musste! Mit anderen Worten: Ich konnte mir also selbst beim Scheitern zusehen und hoffte, dass ich wenigstens souverän, klug und unwiderlegt scheitern würde. Was ich dann ja auch tat!«
»Wie hat der Professor reagiert?«, fragte ich.
»Was sollte er tun, da er doch mit dem Rücken zum theologisch nicht mehr auslotbaren Abgrund stand? Er drohte mir, nachdem ich ihn so weit in die Enge getrieben hatte, dass er nicht mehr vor oder zurück konnte. Wenn ich mit diesem gefährlichen Unsinn nicht aufhörte – ja, er sagte Unsinn! –, könnte ich niemals Priester werden!« Sie lächelte verschmitzt. »Aber das durfte ich als Frau ja ohnehin nicht! Doch ein erbittertes Wortgefecht auf diesem sumpfigen theologischen Schlachtfeld ersparte ich mir – ich hatte keine Lust, von dem Professor niedergebrüllt und aus dem Hörsaal geworfen zu werden.«
Dann wurde sie wieder ernst.
»Seit jener Zeit habe ich an den Eucharistiefeiern in San Marco zwar teilgenommen, aber nicht, um wie in einem antiken griechischen Mysterienkult den Leib des Christos zu essen oder sein Blut zu trinken. Sondern zu Iesous’ Andenken, so wie es ursprünglich gedacht war.«
»Du glaubst also, dass Iesous keinen Neuen Bund mit Gott gestiftet hat?«
»Ja, das glaube ich«, bekannte sie sehr ernsthaft. »Iesous’ Worte ›Dies ist mein Blut‹ sind ein Zitat aus Moses’ Rede im Buch Exodus, wo er das Volk Israel mit Opferblut, dem ›Blut des Bundes‹, besprengt. Die Worte des Abendmahls beziehen sich auf die Ankündigung eines Neuen Bundes, den Gott mit Israel schließen will – nachzulesen beim Propheten Jeremia.
Weshalb sollte Gott diesen Bund dann nicht, wie angekündigt, mit den Juden geschlossen haben, sondern mit den Christen? Nein, Iesous hat mit seinem Blut keinen Neuen Bund besiegelt. Denn er betete im Tempel, hielt die Gebote, lehrte als pharisäischer Rabbi in Synagogen und wollte das Gesetz nicht abschaffen – also auch nicht den Bund mit Gott.«
Menandros, der orthodoxe Priester, war sehr still und in sich gekehrt. Er starrte auf die Bücher in meinem Regal – Mosche ben Maimon, Abraham Ibn Daud, Levi ben Gerschom, Mosche ben Nachman –, als könnte er in ihnen seinen Seelenfrieden wiederfinden. Ich sah ihm an, dass er zutiefst unglücklich war!
»Was war das Abendmahl – ein festliches Mahl am Vorabend von Pessach?«
Ich schüttelte den Kopf und fuhr fort: »Ein Sedermahl kann es nicht gewesen sein, da Jeschua an Sukkot, also im Herbst, nach Jeruschalajim kam und Pessach im
Weitere Kostenlose Bücher