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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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die Gottheit im Menschen innewohnen lässt … aber auf Hebräisch klingt es geradezu grotesk. Den Juden ist der Genuss von nicht koscher geschlachtetem Fleisch und Blut doch streng verboten! Und zudem warnte Jakob als Führer der nazoräischen Gemeinde in der Apostelgeschichte ausdrücklich vor dem Genuss von Blut – auch im symbolischen Sinne.« Sie sprach wieder Griechisch, damit ich es lernte.
    »Jeschua hat das Abendmahl* nicht als Kulthandlung eingesetzt«, sagte ich ebenfalls auf Griechisch.
    Menandros erstarrte. Seine Hand, die mit einer Schreibfeder gespielt hatte, verkrampfte sich. Beinahe hätte er den Kiel zerbrochen.
    »Nein, das war Paulus«, stimmte mir Celestina zu.
    »Paulus?«, fragte ich überrascht. »Aber …«
    »Vor Jahren habe ich an der Universität von Padua ein paar theologische Vorlesungen gehört«, gestand sie schmunzelnd. »Ich habe den Gelehrtentalar meines Vaters angezogen und in der letzten Bank den Ausführungen des Professors gelauscht.« Sie holte das mitgebrachte Buch hervor und legte es auf meinen Schreibtisch. »Dies sind die Mitschriften der Vorlesungen, die ich besucht habe. Es ging um die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut des Christos. Das ist seit dem vierten Laterankonzil von 1215 ein Dogma«, dozierte sie mit erhobenem Finger.
    Dann lehnte sie sich auf ihrem Sessel zurück. »Du meine Güte«, lachte sie. »Wie habe ich mich in den Vorlesungen mit dem Professor gestritten! Es ging um die Frage, ob die Worte ›Dies ist mein Leib und dies ist mein Blut‹ bedeuten, dass das Brot, das aussieht wie Brot, das riecht wie Brot, das schmeckt wie Brot, nach der Konsekration nicht mehr Brot und der Wein nicht mehr Wein ist, sondern Leib und Blut des Christos.
    Der Professor belehrte mich, dass Iesous Christos in jeder der beiden Hälften des Brotes steckt, wenn es gebrochen wird. Ich fragte ihn: Und wenn die beiden Hälften erneut geteilt werden? Er antwortete: Auch dann ist Christos präsent! Und ich fragte: Und wenn das Brot nun während der Wandlung durch das Ungeschick des Priesters in tausend kleine Krümel zerfällt? Er versicherte mir: Auch dann!
    Unter großem Gekichere der Studenten definierten wir sehr ernsthaft, wann ein Krümel ein Krümel ist und in wie viele Krümel eine Hostie zerbrochen werden kann, damit Christos noch in jedem Krümel gegenwärtig ist – selbstverständlich ohne dass der Krümel die ihm innewohnenden Eigenschaften als Krümel verliert.
    Die Frage nach der Wesensgleichheit des Krümels mit Gott gemäß der Definition des Konzils von Nikaia und die daraus logisch resultierende Anbetungswürdigkeit eben jenes konsekrierten Brotkrümels ersparte ich ihm. Die ersten Studenten schlichen prustend aus dem Saal, und ich glaube, auch Papst Julius hätte über unsere Disputation Tränen gelacht!
    Dann fragte ich: Und wenn nun eine Kirchenmaus die Krümel, die nach der Konsekration auf dem Altar liegen blieben, fressen würde – auch wenn Paulus den unwürdigen Genuss von Brot und Wein in der Eucharistie verdammt! –, wäre dann Iesous Christos auch in der Maus? Wütend gebot er mir zu schweigen. Ich nähme die ganze Sache offenbar nicht ernst! Die Eucharistie sei ein Sakrament!«
    »Aber du hast nicht geschwiegen«, vermutete ich lachend und wischte mir eine Träne aus dem Augenwinkel.
    »Nein, natürlich nicht! Aus Trotz machte ich mich sehr ernsthaft ans Werk. Ich wühlte mich durch die verschiedenen Abendmahlstexte bei Matthäus, Markus, Lukas und Paulus und habe sie Wort für Wort verglichen.
    Dabei stellte ich fest, dass Iesous Christos’ Worte: ›Tut dies zu meinem Gedächtnis!‹ beschämend nachlässig überliefert wurden. Jeder der Evangelisten hatte sehr sorglos daran herumredigiert, damit die Worte in seine jeweilige Theologie passten.
    Im Gegensatz zu einem Evangelisten darf sich ein Humanist eine solch dilettantische Arbeitsweise nicht leisten!«
    Sie schüttelte missbilligend den Kopf.
    »Wie dem auch sei: Der Text in Paulus’ Brief an die Korinther ist der älteste. Er stammt wahrscheinlich aus dem Jahr 55, während die Evangelien erst Jahrzehnte später, nach der Tempelzerstörung im Jahr 70, entstanden sind.
    Nächtelang habe ich mich ins ›Königreich der Himmel‹ in der Dachkammer des Dogenpalastes vergraben, um die Wahrheit zu finden. Ich fand heraus, dass unter den ersten Christen, die damals noch Nazoräer genannt wurden, scheinbar von Anfang an der Ritus des Brotbrechens vollzogen worden ist – das war keine

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