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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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mich auf eine äußerst erregende Weise. »… nur wir beide …« Sie küsste mich gleich noch einmal. »… ohne Tristan und Menandros …« Die Gondel schwankte sanft auf den Wellen, als sie sich auf mich legte. »Wir könnten zwischen den Ruinen des Forum Romanum spazieren gehen … uns von Michelangelo die Decke der Sixtina zeigen lassen … Wir könnten uns Pferderennen auf der Piazza Navona ansehen oder die Konzilssitzungen im Lateranpalast besuchen … Oder wir bleiben im Palazzo Medici und lieben uns die ganze Nacht vor dem flackernden Kamin.«
    Sie küsste mich sehr leidenschaftlich, bevor ich sie daran erinnern konnte, dass Aron und Marietta an Weihnachten heiraten wollten.
    Ihr Liebesspiel in der schwankenden Gondel war äußerst erregend, und ich erinnerte mich an das venezianische Gedicht, das erzählte, wie der Halbmond vom Himmel herabfiel, um einem jungen Liebespaar als Gondel ein Versteck zu sein.
    Wir liebten uns ganz eng umschlungen. Danach lagen wir erschöpft in den Armen des anderen und ließen die Gondel mit der Strömung treiben.
    Am späten Nachmittag badeten wir in der Lagune, kleideten uns wieder an und ruderten nach Norden, nach Murano, wo wir abends Arm in Arm am Canale degli Angeli spazieren gingen. Immer wieder blieben wir vor den Toren der Werkstätten stehen, um einen Blick hineinzuwerfen.
    Wir waren elegant gekleidet – ich trug den aufgestickten Judenkreis nicht sichtbar. So wurden wir, der spanische Adlige Juan de Santa Fé und seine venezianische Geliebte, in eine Glaswerkstatt gewinkt. In kunstvoll geblasenen Gläsern wurde uns ein herrlich kühler Tropfen angeboten.
    Nachdem wir uns erfrischt hatten, führte uns der Meister durch seine Werkstatt und zeigte uns seine gläsernen Schätze.
    Die venezianischen Glaswerkstätten seien vor Jahren wegen der Brandgefahr nach Murano verlegt worden, erzählte uns der Meister. Glas war neben der berühmten Spitze aus Burano eine der wenigen Waren, die die Venezianer selbst herstellten, um sie in alle Welt zu verkaufen. Die Techniken der Glasherstellung wurden wie ein Staatsgeheimnis behandelt. Jeder Glasbläser, der die Republik Venedig verließ, wurde in seiner Abwesenheit als Verräter zum Tode verurteilt.
    Ein gläserner Ring gefiel Celestina. Er war sehr fein und zerbrechlich, ganz in Blau und Gold gehalten – ein außergewöhnliches Schmuckstück.
    Als ich Celestina den Ring kaufte und an den Finger steckte, fiel sie mir um den Hals und küsste mich.
    Nachdem wir die Werkstatt verlassen hatten, schlenderten wir weiter an den Fondamenti entlang und stiegen auf den Campanile einer kleinen Kirche, um in inniger Umarmung den Sonnenuntergang über der Terraferma zu betrachten.
    Im Norden erhoben sich die Alpen majestätisch über den Horizont, im Osten wogte im Abendlicht funkelnd die Lagune und, hinter dem Lido, das goldschimmernde Meer. Im Süden ragte der Campanile von San Marco in den Himmel, und zu unseren Füßen lagen Villen mit nach Jasmin duftenden Gärten voller Zitronen- und Orangenbäume.
    Welch ein unvergesslicher Anblick – beinahe so schön wie das Glück, das ich in ihren Augen funkeln sah.
    Und mein Ring an ihrem Finger.

    Als ich in jener Nacht allein in meinem Bett lag und das Kissen neben mir umarmte, dachte ich: Wie gern hätte ich sie gefragt, ob sie mich heiraten will! Und wie glücklich wäre ich gewesen, wenn sie erwidert hätte: »Ja, ich will!«
    Lange nach Mitternacht kam Judith in mein Bett, zum ersten Mal seit jener Nacht in Paris. Ihr Gesicht war tränennass – sie hatte am Abend erneut mit David gestritten und suchte bei mir Trost.
    Judith schlüpfte unter mein Laken und schmiegte sich an mich.
    Ich konnte sie doch nicht wegschicken!
    Eng umschlungen schliefen wir ein.

    »›… während sie aßen, nahm Jeschua das Brot und sprach den Segen, brach es und gab es den Talmidim und sprach: Nehmt, esst, dies ist mein Leib!‹« Celestina stockte und blickte von der hebräischen Übersetzung des Abendmahls auf. Als ich nickte, las sie langsam weiter – ihr Hebräisch wurde mit jedem Tag besser. »›Und er nahm einen Kelch und sprach den Segen und gab ihnen den und sprach: Trinkt alle daraus! Denn dies ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.‹« Sie ließ das Blatt mit der Übersetzung sinken und schüttelte den Kopf. »Auf Griechisch erinnert es an ein mystisches Kultmahl des Dionysos … das Essen des göttlichen Leibes und das Trinken des göttlichen Blutes, das

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