Die Evangelistin
bewaffneten römischen Legionären auf. Einer der Römer machte sich einen Spaß daraus, die Juden zu provozieren, die in ihren Laubhütten ihr schönstes Fest feierten.
Diese Provokation war eine große Dummheit!
Nicht der Zorn Gottes traf den Goj, aber eine jüdische Faust.
Es gab eine Schlägerei, und nur mit Mühe konnten wir Jeschua davon abhalten, den Tallit und den Feststrauß wegzuwerfen und sich in die Schlacht zu stürzen, um die Kämpfenden zu trennen.
Nun steigen wir durch das Kidron-Tal hinauf zum Tempel, den wir durch das Goldene Tor im Osten betreten. Dann haben wir den weiten Tempelvorhof erreicht. Hinter uns liegen die hohen Säulenhallen entlang der befestigten Tempelmauer. Rechts von uns ragen die drohenden Schatten der Burg Antonia auf. Die Sonne ist längst hinter dem Horizont versunken. Die ersten Sterne leuchten am Himmel – der neue Tag bricht an!
Tausende Pilger strömen über den Tempelplatz zum Heiligtum. Am nächsten Morgen werden sie alle Jeruschalajim verlassen und nach Hause zurückkehren – nach Betlehem und Jericho, nach Rom und Babylon, nach Athen und Alexandria. Es herrscht ein unvorstellbares Gedränge, Geschiebe und Gestoße. Um ein Haar werden die Tische der Geldwechsler und Taubenverkäufer im Vorhof der Heiden umgeworfen!
Wir müssen Acht geben, dass wir nicht getrennt werden! Wir können Jeschua doch nicht allein in den Tempel gehen lassen!
Je näher wir dem Schönen Tor zum ersten Vorhof kommen, desto enger wird es. Einige der Pilger erkennen Jeschua. Sie rufen: ›Seht, da ist Jeschua! Dem Ewigen sei Dank: Er ist gekommen, um die Hakhel-Zeremonie durchzuführen! Macht ihm Platz, damit er den Tempel betreten kann!‹ – ›Hoscha na! Erlöse uns doch, du Sohn Davids!‹ – ›Errette uns von den Römern!‹
Schimon sieht sich unruhig um. Wo ist die Tempelwache? Wo sind die Römer? Erst vor wenigen Monaten hatte der grausame und gefürchtete Pontius Pilatus* ein Massaker an galiläischen Pilgern angeordnet – ihr Blut hatte sich mit dem Blut ihrer Opfertiere vermischt! Jeschua legt ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. ›Hab keine Angst, mein Bruder! Es wird schon gut gehen! Wenn Joseph ben Kajafa wüsste, was ich vorhabe, hätte er uns schon letzte Nacht festnehmen lassen.‹
Den ganzen Tag hatte Jeschua den hundertachtzehnten Psalm auf den Lippen: ›Ich werde nicht sterben, sondern leben.‹ Unablässig betete er: ›Herr, hilf doch! Herr, lass es gelingen!‹ Aber nun ist er endlich ruhig geworden. Und siegesgewiss: ›Unser Vater im Himmel wird uns helfen, wenn wir uns durch nichts beirren lassen!‹
Entschlossen schreitet Jeschua durch das Tor in den ersten Vorhof und drängt sich durch die Massen bis zu den fünfzehn Stufen, die zum gewaltigen Nikanor-Tor hinaufführen.
Dann ist er in der Menge verschwunden!
Fluchend stürzt Jehuda hinter ihm her, zwängt sich durch das Tor und hat ihn schließlich eingeholt.
Jeschua erwartet uns im Vorhof der Priester, wenige Schritte entfernt vom Tempeltor. Wir drängen zu ihm hinüber: Mirjam, sein Sohn Jehuda, seine Brüder und seine Gefolgsleute.
Wer hat das Salböl? Wo ist der Mann, der das Öl auf Jeschuas Stirn gießen soll? Wo ist Jakob mit der Tora? Ist die richtige Textpassage, das Königsgesetz, zur Verlesung in der Hakhel-Zeremonie* schon aufgerollt?«
»Die Hakhel-Zeremonie?«, fragte Celestina. »Was ist das?«
»Es ist ein uraltes Ritual, das Mosche selbst eingesetzt hat. Alle sieben Jahre sollte im Tempel eine Lesung der Gesetze stattfinden, die Mosche niedergeschrieben hatte.
›Versammle das Volk, die Männer und die Frauen und die Kinder und den Fremden, der in deinen Toren wohnt, damit sie hören und damit sie lernen und den Herrn, euren Gott, fürchten und darauf achten, alle Worte dieses Gesetzes zu tun!‹«, zitierte ich aus dem Gedächtnis. »Die Königsriten fanden alle sieben Jahre am Abend des achten und letzten Tages des Sukkot-Festes statt. Der König verlas im Tempelhof aus der Tora das Königsgesetz, das seine Pflichten als Herrscher festschrieb.«
Ich nahm Hernán de Talaveras Bibel, schlug das fünfte Buch Mosche auf und las vor: »›Wenn du in das Land kommst, das der Herr, dein Gott, dir gibt, und es in Besitz genommen hast und darin wohnst und sagst: Ich will einen König über mich setzen, wie alle Nationen, die rings um mich sind!, dann sollst du nur den König über dich setzen, den der Herr, dein Gott, erwählen wird. Aus der Mitte deiner Brüder sollst du einen
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