Die Evangelistin
bei ihm. Wen also sollte ich nach euch fragen? Celestinas Cousin Giuliano de’ Medici, der Bannerträger der Kirche, führt das Heer des Papstes, und Kardinal Giulio de’ Medici verhandelt als päpstlicher Legat mit dem französischen König.
Da fiel mir ein, dass Celestina mit Baldassare Castiglione befreundet ist. Ich klopfte an seinen Palazzo – umsonst! Der Conte ist mit dem Papst nach Norden aufgebrochen. Also bin ich wieder in den Vatikan zurückgekehrt und habe nach Raffaello Santi gefragt. Und – Adonai sei gelobt! –, der Maestro wusste, wo ich euch finden konnte.« Er schnaufte. »Ich bringe Nachrichten aus Venedig.«
»Was ist geschehen?«, wollte Elija wissen.
»Auf Aron ist ein Attentat verübt worden.«
»O mein Gott!«, entfuhr es mir.
»Lange nach Mitternacht kehrte Aron von Mariettas Palazzo nahe San Moisè nach Hause zurück. An der Fondamenta Orseolo wurde er überfallen und schwer verwundet. Aber er konnte sich retten! Mit letzter Kraft entwand er sich den Angreifern, warf sich in den Bacino Orseolo, schwamm auf die andere Seite, erreichte die Arkaden der Prokuratien an der Piazza San Marco und flüchtete sich in die Arme des Prokurators Antonio Tron. Er hat David rufen lassen. Dein Bruder und ich haben Aron nach Hause gebracht.«
»Wer hat versucht, ihn zu ermorden?«, fragte Elija erschüttert.
»Der Prokurator versprach, dafür zu sorgen, dass der Consiglio dei Dieci die Gewalttat untersucht. Nach dem Brand in Arons Kontor hat Tristan Venier als Vorsitzender des Zehnerrates erklärt, dass er einen Anschlag auf einen jüdischen Bankier, der es der Serenissima durch große Anleihen ermöglicht, ihren Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit fortzusetzen, als einen Angriff gegen die Republik Venedig betrachtet. Doch Signor Venier war nicht in Venedig.«
»Wo ist er?«, fragte ich bestürzt.
»Im Feldlager des französischen Königs. Seine Exzellenz sagte mir, er sei in der Schlacht von Marignano verwundet worden.«
Mit zitternden Knien ließ ich mich auf den Sessel vor dem Schreibtisch sinken.
»Und Aron?«, fragte Elija.
Jakob hielt den Blick gesenkt. »Das Blut strömte aus ihm heraus wie aus dem kleinen Moses Rosenzweig. David hatte den Jungen nicht retten können. Erinnerst du dich, wie verzweifelt er an Schawuot war? Elija, so habe ich David noch nie erlebt. Er war so zornig! Drei Tage lang hat er mit Gott gerungen, doch am Ende hat er den Kampf um Arons Leben gewonnen. Dein Bruder lebt!«
Elija nickte stumm. Dann fragte er seinen Freund: »Hat der Consiglio dei Dieci das Attentat auf Aron untersucht?«
»Ja.«
»Und?«
Jakob schüttelte resigniert den Kopf.
»Hat David dich geschickt?«
»Dein Bruder weiß nicht, dass ich hier bin.«
»Er weiß es nicht?«, fragte Elija verwirrt.
»Ich bin nach Rom gekommen, um dich zu warnen, Elija: Dein Leben ist in Gefahr! David will nicht, dass du von dem Anschlag auf Aron erfährst. Er hat Angst, du könntest deine Sachen packen und mit Celestina zurückkommen. Er fürchtet, du könntest glauben, dass Kardinal Cisneros das Attentat auf deinen Bruder befohlen hat, um dich nach Venedig zurückzulocken und nach Córdoba zu entführen. In Rom stehst du unter dem Schutz des Papstes. David will, dass du mit Celestina in Rom bleibst und auf keinen Fall …«
»Wir werden nach Venedig zurückkehren«, entschied Elija. »Ich kann mich nicht in Rom verkriechen, während meine Familie in Gefahr ist. Sie leiden, weil ich in Córdoba nicht den Mut hatte, mich selbst zu opfern.«
»Elija, das ist Wahnsinn!«, rief Jakob verzweifelt. »In Venedig wartet der Tod auf dich!«
Im dunstigen Licht der goldenen Abendsonne schien Venedig über den Wellen zu schweben. Mein geliebtes Venedig – Stadt der Lebensfreude und der Sinnlichkeit!
Bis zu unserer Flucht nach Rom war die Serenissima das Paradies auf Erden gewesen, ein Ort des Friedens und der Freiheit. Und nun? War das Paradies für uns verloren?
Während die untergehende Sonne den Abendhimmel in Flammen setzte und die Wolken in allen Schattierungen von Gold und Purpurrot verglühten, ließen Jakob, Elija und ich uns mit unserem Gepäck von einem Gondoliere nach Venedig hinüberrudern. Unsere Pferde sollten später mit einem größeren Kahn zur Ca’ Tron gebracht werden.
Während des fünftägigen Rittes über Urbino und Ravenna war Jakob sehr schweigsam gewesen: Er gab sich die Schuld an Elijas Entschluss, in die Serenissima zurückzukehren. Das Band der Freundschaft zwischen ihnen war
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