Die Evangelistin
zerrissen, seit Jakob und Elija sich in Urbino zerstritten hatten. In seiner Verzweiflung hatte Jakob seinem Freund den Plan ausreden wollen, sein nazoräisches Evangelium zu schreiben. Er hatte Elija verletzende Worte entgegenschleudert: Ob der Weihrauchdunst von San Pietro Elija den Verstand vernebelt habe? Ob er sich nach all den Jahren doch noch zum Märtyrer machen wolle?
»Der Papst hat dich exkommuniziert: Du bist kein Christ mehr«, hatte Jakob ihn angeschrien. »Willst du mit deinem Evangelium den Cherem-Bann riskieren, um am Ende auch kein Jude mehr zu sein?«
Jakob, der mir in der Gondel gegenübersaß, wich meinem Blick aus. Der Streit mit Elija und das Ende ihrer Freundschaft hatten ihm sehr wehgetan – so wie Elija.
Unser Boot glitt durch den Canal Grande, vorbei an den prächtigen Palazzi der Nobiltà.
Dort ragte die Ca’ Venier aus den funkelnden Wellen des Kanals. Tristan, bist du schon zurückgekehrt? Wie geht es dir? Ich vermisse dich so sehr …
Elija legte mir tröstend den Arm um die Schultern. »Du denkst an ihn , nicht wahr?«
Ich nickte und schwieg, während wir zum Ponte di Rialto gerudert wurden.
Als wir endlich den Palazzo Tron erreichten, machte die Gondel am Bootssteg vor dem Haus fest. Jakob umarmte uns zum Abschied, murmelte ein hoffnungsloses »Schalom!« und ließ sich zu seinem Haus auf der Insel Giudecca hinüberrudern.
Elija und ich sahen ihm vom Steg aus nach, bis das Boot hinter der Biegung des Canalazzo verschwand.
»Mein Haus ist dein Haus«, sagte ich, als ich das Portal aufstieß.
Zwei Stufen auf einmal nehmend, flog uns Menandros entgegen und riss uns ungestüm in seine Arme.
»Ihr seid zurückgekehrt!« Er küsste Elija auf beide Wangen. »Nach dem Attentat auf Aron hatte ich solche Angst um euch! Dem Allmächtigen sei Dank: Es geht euch gut!«
»Menandros«, rang ich in seiner Umarmung nach Luft. Ich war im fünften Monat schwanger! »Wie froh bin ich, dich zu sehen! Hast du von Tristan gehört? Er wurde in der Schlacht von Marignano verwundet.«
»Tristan ist wieder in Venedig! Gestern war er hier, um nach dir zu fragen. Er wusste nicht, wohin ihr geflohen wart. Er ist so verzweifelt – weil er Elija in seinem Zorn geschlagen und dich damit endgültig verloren hat.«
»Wie geht es ihm?«
»Die Wunde an seinem Bein ist verheilt – David hat ihn untersucht. Aber die an seinem Herzen wird wohl nie heilen. Tristan ist traurig und sehr einsam.«
Vor dem Gartentor der Ca’ Venier zügelte ich meinen Hengst und sprang aus dem Sattel. Während ich das Pferd festband, sah ich an der Rückseite des Palazzos empor, einer schlichten Backsteinfassade.
Wie lange war ich nicht hier gewesen? Fünf Monate! Was war in jenen Wochen alles geschehen!
Schwermütig schritt ich durch den herbstlichen Garten zum Portal. Auf mein Klopfen öffnete mir Tristans Diener Giacometto. An ihm vorbei betrat ich das Haus. Aber anstatt wie früher gleich die Treppen hinaufzufliegen, um meinen Geliebten stürmisch zu umarmen, blieb ich stehen. »Giacometto, sag mir: Wie fühlt er sich?«
»Es geht ihm besser, seit vor drei Tagen der Medicus David Ibn Daud hier war. Wir hatten ihn nicht gerufen, und doch stand er plötzlich vor der Tür und wollte den Signore besuchen. Er hat sein zerschmettertes Bein untersucht und ihm Opium gegeben, damit er die Schmerzen ertragen kann. Dann ist er noch zwei Stunden geblieben und hat sich mit dem Signore unterhalten. Zuerst war der Signore sehr beschämt, weil er den Bruder des Medicus geschlagen hatte … aber als Doktor Ibn Daud wieder ging, fühlte er sich sehr viel besser.
Trotz seiner Schmerzen hat Signor Venier vorgestern das Bett verlassen, um sich von mir zur Ca’ Tron rudern zu lassen – er wollte nach Euch fragen.«
Betroffen quälte ich ein »So schlimm ist es?« heraus.
Giacometto nickte ernst. »Der Medicus sagte, Signor Venier werde nie mehr richtig laufen können. Und er war doch immer so lebenslustig!« Giacometto schluckte. »Und jetzt … Erst heute Morgen, als ich ihm sein Frühstück ans Bett brachte, sagte er zu mir, er sei ein gestrandetes Wrack – zu nichts mehr nütze und allen eine Last. Er ist so niedergeschlagen! Es tut mir weh, ihn so zu sehen.«
»Wo ist er?«
»Nach dem Mittagessen hat er Opium genommen. Er schläft jetzt.«
»Ich werde nach ihm sehen.« Ich stieg die beiden Treppen hinauf zum Schlafzimmer. Leise öffnete ich die Tür und trat in den Raum.
Tristan lag schlafend in die Kissen gelehnt. Das
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