Die Evangelistin
seidene Laken und die lagunenblaue Brokatdecke bedeckten seinen Körper bis zur Hüfte. Auf dem Nachttisch standen eine halb leere Karaffe mit Rotwein und ein Fläschchen mit Opium aus Davids Apotheke.
Behutsam setzte ich mich neben ihn, strich ihm eine Strähne seines langen Haares aus der Stirn und küsste ihn zärtlich.
Noch im Opiumrausch gefangen, öffnete er seine Lippen und atmete aus tiefstem Herzen seufzend meinen Duft ein.
Da schlug er die Augen auf. »Celestina«, flüsterte er bewegt. »Ich habe mich so gefreut, als Menandros mir gestern eine Nachricht sandte, du seist aus Rom zurückgekehrt. Und nun bist du da.«
»Ich werde immer für dich da sein.«
»Ich liebe dich.«
»Und ich liebe dich, Tristan.«
»Immer noch?«
»Immer noch, und für alle Zeit«, versprach ich ihm. »Neunzehn Jahre, Tristan! Das ist unser ganzes Leben!«
Bedächtig zog ich die Schleifen meines Mieders auf. Dann erhob ich mich und ließ das Brokatkleid und das seidene Unterkleid zu Boden gleiten.
Tristans Blick streichelte meine Brüste und meinen gerundeten Bauch, als ich zu ihm unter das Laken schlüpfte.
Ich schmiegte mich an ihn, nahm seine Hand und legte sie auf meinem Bauch. »Spürst du es?«
Er nickte gerührt.
»Das ist Netanja.«
Tristan streichelte meinen Bauch. »Elija muss sehr stolz sein.«
»Das ist er.«
»Weiß er, dass du hier bist?«
»Ja, er weiß es. Heute Nachmittag haben wir gemeinsam Aron besucht. Dann ist Elija nach Hause zurückgekehrt, um seine Truhen auszupacken – er wohnt jetzt bei mir.«
»Seid ihr glücklich?«, fragte er leise.
»In Rom waren wir es. Ob wir es in Venedig sein können, hängt vor allem von dir ab.«
»Von mir?«
»Deine Traurigkeit und deine Einsamkeit bedrücken uns. Wir würden unser Glück gern mit dir teilen.«
Zutiefst beschämt schwieg er.
Vor drei Monaten hatte er Elija gefragt, wie er seinen Feind lieben könne: »Lehre es mich, du großer Rabbi, denn ich kann für dich keine Liebe empfinden – nur Hass und Zorn!«
Und nun lehrte Elija ihn das Lieben.
»Elija würde sich freuen, wenn du uns oft besuchen kämst und wenn du dann mit Netanja spielen würdest, als wäre er dein eigener Sohn.«
Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei: Die größte von diesen ist die Liebe, hatte Paulus geschrieben. Denn die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, erduldet alles.
Wie sehr Paulus sich irrte!
Eines der schönsten Gefühle der Welt ist die Glückseligkeit der Vergebung.
Nach dem Abendessen im großen Saal trugen Menandros und Elija Tristan die Treppe hinauf in die Bibliothek, wo im Kamin ein Feuer prasselte. Mit seinem zerschmetterten Bein konnte er noch nicht ohne fremde Hilfe gehen.
Elija half ihm in den Sessel vor dem flackernden Kamin, während Menandros eine Decke über Tristans Beine breitete.
Es hatte einige Tage gedauert, bis Tristan Elijas Einladung gefolgt war. Aber dann war er gekommen. Die Versöhnung mit Elija vor dem Abendessen hatte mich sehr glücklich gemacht, und ich hatte mich an Menandros’ Worte erinnert: »Ich finde es wundervoll, wie du mit Respekt und Toleranz das verlorene Paradies neu zu erschaffen versuchst. ›Das messianische Friedensreich ist schon gekommen‹, hätte Christus gesagt, ›es ist schon da, mitten unter euch‹.«
Menandros hatte Recht: Elija und ich hatten das verlorene Paradies gefunden – nicht in der Welt, sondern in uns selbst.
Aviram, einer unserer neuen Diener, brachte mit Nelken gewürzten Wein und für Elija ein Kristallglas mit Wasser. Als Nazir trank er keinen Wein.
Während Tristan an seinem Wein nippte, sah er sich in der Bibliothek um. Auf dem großen Tisch in der Mitte des Raumes stapelten sich Elijas hebräische und arabische Bücher – Menandros hatte damit begonnen, sie in die Regale zu stellen.
Tristan wies auf den Schreibtisch, der sich unter dem zwölfbändigem Talmud, der hebräischen Bibel und den Büchern von Mosche ben Maimon und Shemtov Ibn Shaprut bog: »Du hast dein Buch schon begonnen, nicht wahr?«
Elija nickte. »Seit einigen Tagen schreibe ich am ersten Kapitel: Die Geburt in Betlehem, die Weisen und der Stern. Das Vorwort ist schon fertig.«
»Darf ich es lesen?«
Elija holte die ersten Seiten des Manuskripts vom Schreibtisch. Wenn wir Das verlorene Paradies in Daniel Bombergs Druckerei verlegen wollten, benötigten wir ohnehin die Zustimmung des Consiglio dei Dieci.
Verwirrt starrte Tristan auf die Seiten. »Aber das ist doch Celestinas Handschrift!«
»Ich
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