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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Schrift belegt die Autorität der Worte des den Akt vollziehenden Bischofs, die Kerze, die nach dem Anathema gelöscht wird, verkörpert die Möglichkeit der Rückkehr in die christliche Gemeinschaft.
    »Wir scheiden dich, Celestina, vom Körper und vom Blut Jesu Christi und von der Gemeinschaft aller Christen. Wir schließen dich aus unserer Heiligen Mutter Kirche aus, im Himmel wie auch auf Erden. Wir erklären dich …« Giannis Stimme versagte. »Mein Gott, was tue ich?«, flüsterte er zutiefst bewegt. Dann holte er tief Luft und sprach seinen Text: »Wir erklären dich für exkommuniziert und verdammt …«
    Er konnte mir nicht in die Augen sehen, als er »So sei es!« murmelte und wie Angelo seine brennende Kerze auf den Boden warf, damit sie erlosch. Wie traurig er war!
    Ich umarmte ihn herzlich. »Ich weiß, wie sehr du an meiner Entscheidung verzweifelst, Gianni. Und ich danke dir, dass du meinem Wunsch entsprochen hast, obwohl er dir sehr wehtut, weil du mich damit verlierst.
    Wahre Freundschaft ist, dem anderen seine Freiheit nicht zu nehmen. Wahre Freundschaft ist, den anderen tun zu lassen, was er von ganzem Herzen tun will. Ich bin sehr glücklich, dich zum Freund zu haben, Gianni!«

    Nach der Zeremonie verließen Elija und ich den Vatikan und zogen in den Palazzo Medici in der Nähe des Pantheon.
    An jenem Nachmittag, als wir unsere Reisetaschen ausgepackt hatten, begannen Elija und ich mit der Übersetzung des griechischen Lukas-Evangeliums.
    Elija und ich lebten sehr zurückgezogen. Nur selten gingen wir aus und besuchten meine Freunde Raffaello und Baldassare. Den prächtigen Hof des Papstes mieden wir, was Gianni sehr verstimmte. Wie gern hätte er aller Welt verkündet, dass ich endlich nach Rom gekommen war – und nun? Auf meinen Wunsch hatte er Elija und mich exkommuniziert. Meine Entscheidung, die Kirche zu verlassen, hatte ihn ins Herz getroffen.

    ›Unbesieglich wie der Tod ist unsere Liebe, und heiß wie Feuergluten brennt unsere Leidenschaft‹, so triumphiert das Hohelied.
    Trotz der Gefahr der Entdeckung durch Kardinal Cisneros waren Elija und ich in Rom sehr glücklich. Mitte August, drei Wochen nach unserer Ankunft, ging es mir besser: Im dritten Monat machte mir die Schwangerschaft nicht mehr so zu schaffen. Ich hatte zugenommen, und meine Formen hatten sich gerundet: Meine Brüste waren voller geworden. Elija schien es zu gefallen. »Du bist unglaublich erotisch!«, lächelte er Nacht für Nacht verzückt, wenn wir uns leidenschaftlich liebten. Er war so liebevoll, so zärtlich, und ich fühlte mich geborgen, wenn er mich in seinen Armen hielt und mit mir von Netanja träumte. Wie sehr er sich auf das Kind freute!

    Nach drei Wochen hatten wir die Übersetzung des Lukas-Evangeliums abgeschlossen, und Ende August war auch das Johannes-Evangelium übersetzt. In den letzten Monaten hatte Elija mich Hebräisch gelehrt, sodass ich ihm bei der Übertragung seines hebräischen Matthäus-Textes in die lateinische Sprache helfen konnte.
    Es war ein unermüdliches Ringen mit dem Verstand und dem Herzen um den Sinn eines jeden Wortes – um den lebendigen Geist des Wortes, wie Paulus es genannt hätte. Die hebräische Poesie der Evangelien und die feinsinnigen Sprachgemälde der Gleichnisse ließen sich nur sehr schwer, falls überhaupt, ins Lateinische übertragen. Noch schwieriger war es mit den jüdischen Begriffen: Königreich der Himmel, Erlösung, Auserwählung, Gnade, Sühne und Gerechtigkeit. Sollten wir hebräische Worte wie Zedaka – Gerechtigkeit überhaupt übersetzen, da sie dabei doch ihren Sinn veränderten?
    Elija hatte begonnen, Notizen für sein Buch zu machen, das er in wenigen Wochen beginnen würde: Zitate aus den Evangelien, Prophetenworte aus der Bibel und Rabbinensprüche aus dem Talmud. Nachdem ich mich in Florenz einen Abend lang durch die Traktate des Talmud gekämpft hatte, während Elija und Giovanni Montefiore in ihrem rabbinischen Wortgefecht aus dem Gedächtnis zitierten, lehrte mich Elija, seinen Talmud zu lesen.
    Wie konnten wir denn ahnen, dass meine Kenntnis des Talmud Elija eines Tages das Leben retten würde!

    Kurz vor Rosch ha-Schana, dem jüdischen Neujahrsfest am 1. Tishri 5276, dem 8. September 1515, hatten wir das Matthäus-Evangelium fertig übersetzt.
    Rosch ha-Schana und die folgenden neun Tage bis Jom Kippur, dem Versöhnungsfest, sind eine Zeit der Umkehr und Besinnung. In jener stillen Zeit des Nachdenkens und der Buße war Elija oft in der

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