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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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besten Freund, jemals vergeben, wenn ich wieder ein Christ wäre? Wohl kaum! Nach meiner jahrelangen Beschäftigung mit den Evangelien, meiner Freundschaft mit dem Erzbischof von Granada und der Arbeit für die Kirche musste er doch annehmen, dass ich mich dieses Mal voller Überzeugung zum Christentum bekehrte.
    Sich in der Not taufen zu lassen, weil es keinen anderen Weg gab als die Via Dolorosa, die zum Kreuz führt, und sich zu Jesus Christus zu bekennen, um zu überleben, war aus rabbinischer Sicht mit dem Gewissen vereinbar. Aber siebzehn Jahre lang als Converso dem Glauben an Adonai treu zu bleiben … einen zwei Jahre langen Prozess und die demütigenden Disputationen mit Kardinal Cisneros durchzustehen … meine Frau und meinen Sohn zu verlieren … aus Granada zu fliehen, damit ich endlich wieder als Jude leben konnte, um mich dann ohne Bedrohung durch die Inquisición erneut zum Kreuz zu bekennen, unter dem wir alle so sehr gelitten haben? Das konnte mein Bruder nicht von mir verlangen!
    »Ich kann und ich werde dir verbieten, Marietta zu heiraten!«, entgegnete ich. »Sei vernünftig, Aron! Sie ist eine Christin …«
    Mein Bruder sprang so wütend auf, dass der Stuhl mit lautem Poltern umkippte.
    »Dass David mir die Heirat verbieten würde, darauf war ich gefasst«, rief er verbittert. »Aber dass du mir meine Liebe nicht gönnst, das ist … Du hast dich doch selbst in eine Christin verliebt! Heute Nacht hast du mit ihr geschlafen – das hat mir Judith eben zugeflüstert, als ich ihr auf der Treppe begegnet bin! Du kennst Celestina noch keine drei Tage und trittst Sarahs Andenken in den Staub. Du verrätst sie!
    Nein, lass mich gefälligst ausreden, Elija! Du hast dich ihr doch hingegeben! Du hast dich an sie verschenkt! Wie ich mich Nacht für Nacht an Marietta verschenke, weil sie mir das gibt, wonach ich mich am meisten sehne: Liebe und Geborgenheit. Einen Ort, wo ich ich selbst sein kann – nicht Aron, der Jude, nicht Fernando, der Christ, sondern einfach nur ich selbst: ein Mensch, der sich nach Liebe sehnt. Ich war zu lange Aron und Fernando, als dass ich es noch länger ertragen könnte! Ich will ein Mensch sein, nur noch ein Mensch. Glaubst du, nach allem, was ich erlitten habe, dass Gott mir diese Gnade gewährt?«
    »Aron, ich bitte dich …«
    »Sag du mir nicht, was ich tun soll und was nicht, du Heuchler!«, brüllte er.
    Ich wollte etwas sagen, doch er unterbrach mich: »Ja, ich weiß es, Elija! Ich weiß, was Judith und du in jener Nacht in Paris getan habt. Ich lag wach neben dir im Bett, nicht einmal eine Armlänge entfernt, als sie zu dir unter die Decke kroch, um dich zu trösten.«
    »Aron …«, beschwor ich ihn.
    Die Erinnerungen stiegen in mir auf. Wie verzweifelt ich in jener Nacht gewesen war, nachdem ich der Sorbonne mitgeteilt hatte, dass ich die Professur für Hebräisch und Aramäisch nicht annehmen würde. David und ich hatten uns beim Abendessen gestritten, weil ich nicht in Paris bleiben wollte – David hätte gern als Medicus dort gearbeitet. Wie hoffnungslos ich gewesen war nach unserer endlosen Flucht von Granada nach Paris. Würden wir bis ans Ende der Welt wandern müssen, ohne jemals irgendwo anzukommen? Wohin sollten wir nun gehen?
    In dieser Hoffnungslosigkeit war Judith zu mir gekommen, um mich zu trösten. Sie hatte mich in die Arme genommen und mir zärtliche Worte zugeflüstert. Und dann … Ich hatte die Augen geschlossen und mir vorgestellt, sie wäre Sarah … Ich hatte es geschehen lassen …
    Vater, vergib mir meine Schuld! Und lass David niemals erfahren, was ich getan habe!
    Aron sah meine Scham und holte zum nächsten Schlag aus:
    »In der Synagoge bist du mein Rabbi, Elija, und ich lausche demütig deinen Predigten – aber hier, in diesem Haus, bist du mein Bruder! Ich weiß, wie viele Opfer du in den letzten Jahren für mich gebracht hast. Aber das gibt dir nicht das Recht, über mein Leben zu bestimmen!« Aron bebte vor Wut. »Wenn du nicht willst, dass Marietta und ich in Venedig heiraten, dann werden wir es eben in Rom tun!«
    Zornig stürmte er aus meinem Arbeitszimmer und schlug die Tür hinter sich zu.

    David wollte trösten, versöhnen und den Zorn lindern, der Aron und mich entzweite, doch er machte alles nur noch schlimmer. Denn indem er sich für den einen Bruder entschied, stellte er sich gegen den anderen, der nach einem erbitterten Wortgefecht mit David wütend aus dem Haus rannte.
    Als ich Aron folgen wollte, hielt David mich auf.

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