Die Evangelistin
eingehüllt zu sein, war überwältigend schön, und ich genoss es mit geschlossenen Augen.
Als ich sie wieder öffnete, bemerkte ich David in der offenen Schlafzimmertür. Mit Tränen in den Augen starrte er mich an, traurig und zutiefst unglücklich. Verzweifelt wandte er sich ab und schloss leise die Tür.
· C ELESTINA ·
K APITEL 7
Seufzend ließ ich mich neben ihn in die Kissen sinken und schloss für einen Augenblick die Augen. Welche Gefühle Elija in mir entfachte!
Er streichelte mein Gesicht und küsste mich. »Wie schön du bist! Ein vollkommener Engel, herabgestiegen aus dem Himmel!« Elija breitete meine langen blonden Haare auf dem Kopfkissen aus, als wären sie ein goldener Glorienschein.
Ich lachte. »Ich bin kein Engel! Ich bin ein Mensch …«
Mit dem Finger fuhr er mir zart über die Lippen und liebkoste mich. »Wer bist du, Mensch?«
»Willst du eine Einführung in die Philosophie des Menschseins?«, lächelte ich. »Ich frage: ›Wann ist der Mensch zutiefst menschlich? Wenn er leidet und doch liebt. Wenn er hasst und trotzdem vergibt‹. Papst Leo nannte diesen Satz das ›Credo der Humanitas‹, der Menschlichkeit und der Moral! Er sei prägnanter als die Bergpredigt!«
»Das ist er!«
»Warum, Rabbi?«
»Weil nur jemand, der das Leiden kennen gelernt hat, über sich nachdenkt. Wer er ist. Was er will. Was er kann. Und wie er es erreichen sollte. Wer nicht gestürzt ist, kann sich nicht erheben. Wer nicht zu hassen gelernt hat, kann nicht lieben und vergeben. Wer nicht an Körper und Seele gelitten hat, kann nicht wissen, was wahre Glückseligkeit und ekstatische Gottesnähe ist. Das Licht leuchtet in der Finsternis am hellsten.«
Ich nickte stumm.
»Was hast du erlitten, um zu werden, wer du bist?«, fragte er.
Ich setzte mich im Bett auf und zog das Laken um mich. »Mein Leben ist eine griechische Tragödie, die Homer verfasst haben könnte: Kampf um die Selbstbestimmung, Tod, Verzweiflung, Schuld, Verrat, Gewalt, tiefste Demütigung, Verlust der Freiheit, Verlust der Heimat, Flucht, Vertreibung ins Exil. Nach Jahren eine triumphale Rückkehr. Erfolg, Respekt, Ruhm, Ehre, Reichtum, Liebe, Glück. Und dann, bevor die Heldin der Tragödie allzu übermütig wird: ein Mordanschlag.
Homer hätte gesagt: ›Ein guter Stoff für ein Epos. Aber die Geschichte kann so nicht enden. Die Heldin hat noch nicht genug erlitten. Nicht an den Menschen, nicht an den Göttern, sondern an sich selbst muss sie verzweifeln! Wer sich selbst erschafft, selbstbewusst und selbstmächtig, kann nicht durch Menschen oder Götter vernichtet werden, sondern nur durch sich selbst.‹« Mein Tonfall klang wohl sehr verbittert.
Elija setzte sich auf und umarmte mich. »Willst du mir erzählen, was geschehen ist?«
Als ich nickte, zog er mich neben sich in die Kissen und legte seinen Arm um mich.
»Es war nie leicht, ein Kind meines Vaters zu sein«, begann ich, und es fiel mir schwer. Es war lange her, dass ich mich jemandem anvertraut hatte. In jener endlosen Nacht hatte Gianni mir geduldig zugehört. Er verstand mich, denn er hatte selbst Jahre gebraucht, um sich aus dem Schatten seines überlebensgroßen Vaters Lorenzo il Magnifico hervorzukämpfen. Giannis Trost hatte mir so viel bedeutet.
»Mein Vater Giacomo Tron, ein Nachkomme des Dogen Niccolò Tron, war einer der berühmtesten Humanisten Italiens, ein siegreicher Offizier des venezianischen Heeres, ein einflussreicher Senator im Consiglio dei Savi und ein enger Freund des Dogen Leonardo Loredan.
Er war die Menschwerdung der vier platonischen Tugenden: Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit, Gerechtigkeit. Mein Vater war eine goldschimmernde Ikone des Erfolges, der höchsten Gottheit im Pantheon des Renascimento. Um seinen Triumph vollkommen zu machen, fehlte nur noch die Wahl zum Dogen von Venedig. Und ein Sohn, der sein Werk vollenden würde.«
Elija war betroffen.
»Sieh mich nicht so an, Elija! Ich habe gelernt, sein Sohn zu sein. So gut, dass er vergessen hat, dass ich es nicht war. Er hat mich respektiert. Eines Abends gestand er mir, wie stolz er auf mich sei. Das war in der Nacht vor seinem Aufbruch in den Krieg gegen Papst Julius. Ein paar Tage später fiel er in der Schlacht. Er starb für die Freiheit Venedigs. Für meine Freiheit.«
»Das tut mir Leid.«
»Libertà! Ein großes Wort mit vielen bunt schillernden Facetten. Eine Vision voller Hoffnung. Ein strahlender Abglanz von Heldentum. Mein Vater war nicht der Einzige aus unserer
Weitere Kostenlose Bücher