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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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stellte er die mitgebrachte Karaffe mit Rotwein und die Gläser auf den Schreibtisch und ließ sich auf den Stuhl fallen.
    »Nein, Aron, ich bin gerade zur Besinnung gekommen.« Missbilligend betrachtete ich den Wein. »Ist es nicht zu früh am Morgen, um mit dem Trinken zu beginnen? Die Sonne ist noch nicht einmal aufgegangen.«
    »Du irrst, mein unfehlbarer Rabbi. Die Nacht ist noch nicht zu Ende. Es ist also möglicherweise etwas spät, um mit dem Trinken anzufangen, aber auf keinen Fall zu früh.«
    Mein Bruder schenkte die beiden Gläser voll, dann reichte er mir eines über den Schreibtisch hinweg.
    »Ich habe die ganze Nacht auf dich gewartet. Dir wollte ich es zuerst sagen. Nachdem David am Schabbat mit mir gestritten hat …«
    David hatte Aron scharf angegriffen, um ihn zur Vernunft zu bringen. Meine Brüder wären aufeinander losgegangen, wenn ich nicht eingegriffen hätte, um die Streitenden zu trennen.
    David machte sich Sorgen um Aron – das hatte er mir in einem langen Gespräch, das erst im Morgengrauen endete, gestanden. Nach der Hawdala-Zeremonie in der Synagoge zur feierlichen Verabschiedung des Schabbats waren wir auf die nächtliche Lagune hinausgerudert. Wir hatten die funkelnden Lichter Venedigs betrachtet und stundenlang geredet. Über den spanischen Mönch vor Arons Kontor, der Gottes Zorn auf unseren Bruder herabbeschwor. Über das illegale und gefährliche Geschäft mit Tristan Venier und die gegenseitige Erpressung. Über Arons seltsames Verhalten in den letzten Wochen. Dass er immer erst lange nach Mitternacht heimkehrte. Dass er beim Synagogengottesdienst gefehlt hatte.
    David hatte Angst. Und, ehrlich gesagt, ich auch.
    Wie froh war ich nun, dass Aron sich entschlossen hatte, sich mir endlich anzuvertrauen! Die ganze Nacht hatte er auf mich gewartet, um mit mir zu reden.
    Ich nippte am schweren, süßen Wein. »Was willst du mir sagen, Aron?«, fragte ich. »Dass du dich verliebt hast?«
    Er trank einen Schluck, um Zeit zu gewinnen, zu überlegen, was er mir anvertrauen sollte und was nicht. Schließlich fasste er sich ein Herz:
    »Nein, Elija. Dass ich mich verloben will. Ich wollte dich um deinen Segen bitten. Mirjam … Marietta und ich wollen heiraten.«
    In einem Zug trank ich mein Glas leer und griff nach der Karaffe, um es erneut zu füllen.
    »Wann?«
    »An Weihnachten.«
    »An Weihnachten?« Ich gebe zu, mein Tonfall war nicht gerade ermutigend.
    »Mariettas Bruder Angelo kommt zum Christfest nach Venedig. Sie will, dass er uns traut … in der Basilica di San Marco.« Aron konnte mir nicht in die Augen sehen. »Marietta ist eine konvertierte Jüdin. Eine Christin. Ihr Bruder ist Priester. In Rom.«
    »Du willst in San Marco nach christlichem Ritus heiraten?«, fragte ich entsetzt.
    »Das hast du doch auch getan! Hernán hat Sarah und dich in der Kirche auf der Alhambra getraut! Nach christlichem Ritus. Ich habe dir die Ringe gereicht – erinnerst du dich nicht?«
    »Wir sind nicht mehr in Granada. Wir sind keine Conversos mehr, sondern Juden. In Venedig sind wir frei. Willst du diese Freiheit, für die wir in den Jahren nach unserer Flucht gekämpft haben, einfach wegwerfen? Willst du wieder ein Christ sein, Fernando ?«
    »Ich liebe sie«, rief er. »Du kannst mir die Heirat mit Marietta nicht verbieten. Du bist nicht mein Vater.«
    »Doch, das kann ich.« Meine Hände verkrampften sich um die Merkfäden meines Tallit. Beinahe hätte ich sie abgerissen. Ich musste mich zur Ruhe zwingen.
    Ahnte Aron denn nicht, welche unvermeidlichen Konsequenzen seine Entscheidung für uns alle hatte? Wenn er wieder Fernando de Santa Fé war, dann war David wieder Diego und ich Juan. Wir mussten wieder als Christen leben und unseren Glauben und unsere unter großen Opfern erkämpfte Freiheit aufgeben. Wofür waren dann Sarah und Benjamin auf dem Scheiterhaufen gestorben? Wozu waren wir von Granada nach Venedig geflohen? Als Conversos mussten wir wieder um unser Leben fürchten, wenn wir heimlich den Schabbat hielten und Jom Kippur feierten.
    Ich bezweifelte, dass David nach unserer Flucht aus Granada wieder als Christ leben wollte. Und Judith? Für sie wäre die Rekonvertierung ein Verrat an ihrer Schwester gewesen, die für unsere Freiheit in den Tod gegangen war. Und Davids Tochter? Esther hatte in den letzten Wochen Jakobs Sohn Yehiel mehr als ein verzücktes Lächeln zugeworfen. Und Yehiel hielt ihre Hand, wenn die beiden in der Stadt unterwegs waren.
    Und Jakob? Würde er mir, seinem

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