Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
Vom Netzwerk:
Dachkammer geführt und die Tür hinter sich fest verschlossen.
    Während des langen Weges von der Piazza San Marco bis zur Ca’ Tron hatte sie kein Wort gesprochen. Jedenfalls nicht mit mir. Mit sich selbst dagegen hatte sie ein endloses Gespräch geführt, das in einem schuldbewussten ›Mea culpa, mea maxima culpa!‹ geendet zu haben schien.
    Die ganze Zeit hatte sie selbstversunken mit ihrem Topasring gespielt – was bedeutete ihr dieser Ring? Sie hatte sich bemüht, ihre Angst vor mir zu verbergen. Warum floh sie vor mir?
    Und sie, Elija, bereut sie, dass sie dich verführt hat?
    »Ja, Vater. Ich glaube, sie bereut es. Ich habe ihr sehr wehgetan. In ihren Armen habe ich um Sarah geweint, und sie sagte, sie würde niemals von mir verlangen, Sarah zu vergessen. Ich glaube …«
    Was glaubst du, Elija?
    »Ich glaube, dass ich mit meinen Tränen zerstört habe, was zwischen uns war. Jene zarten Gefühle der Sehnsucht, geliebt zu werden, und der Hoffnung, jemals wieder lieben zu können, mich in die Arme eines anderen Menschen fallen lassen zu dürfen und mich darin geborgen zu fühlen.«
    Willst du sie, Elija?
    »Ja, Vater. Ich liebe sie von Herzen. Aber ich bezweifele, dass sie mich noch will. Wir würden uns nur gegenseitig wehtun.«
    Du bist traurig, Elija. Du weinst.
    »Ja, Vater. Ich bin verzweifelt.«
    Ich wischte mir eine Träne aus den Augen.
    Ein Geräusch an der Tür.
    Judith trat in den Raum. Ihre langen Haare waren vom Schlaf zerwühlt. Sie trug nur ein seidenes Nachthemd, das ihren schlanken Körper kaum verhüllte.
    Ob David wohl noch schlief?
    »Bitte entschuldige, Elija. Ich wollte dich nicht beim Morgengebet stören. Ich habe gehört, dass du zurückgekommen bist, und da dachte ich, ich sollte nach dir sehen … wie es dir geht.«
    Sie schob den Tallit zurück auf meine Schultern und strich mir mit beiden Händen sanft über das nasse Haar.
    »Du warst in der Mikwa!«, flüsterte sie bewegt. »Du hast mit ihr geschlafen.«
    Als ich nickte, umarmte sie mich. »Elija, ich freue mich für dich! Ich bin so froh, dass du Celestina gefunden hast.« Sie küsste mich, wie Sarah es immer getan hatte. »Nach dem Tod meiner Schwester dachte ich wirklich, du wolltest zum Märtyrer werden und ihr in den Tod folgen. Jahrelang hast du um Sarah getrauert und niemandem erlaubt, dich zu trösten, dich zu lieben und dich aus deinen Leiden an Gottes Unbarmherzigkeit zu erlösen. Jahrelang hast du mit Adonai gehadert, weil Er dir Sarah wegnahm.
    Elija, es ist nicht gut, wenn der Mensch allein ist. Du bist so sinnlich und so feinfühlig. Du brauchst einen anderen Menschen, um dich an ihm zu entzünden und um dich ihm mit Körper und Seele hinzugeben. So lange hast du dich nach Liebe gesehnt, nach Geborgenheit, nach Zärtlichkeit, nach Leidenschaft, nach allem, was ich dir nicht geben konnte, dass du innerlich ausgebrannt und erfroren bist.
    Du hast dich in dich selbst zurückgezogen, damit niemand dir mehr wehtun konnte. Und um zu büßen, weil du glaubst, du seist schuld an Sarahs und Benjamins Tod. In den letzten sechs Jahren hast du dich selbst mehr gequält, als es die Inquisitoren in Córdoba mit all ihren Folterinstrumenten vermocht hätten.
    Aber nun ist alles anders. Du bist zum Leben und zur Liebe erwacht: Du liebst sie. Und sie liebt dich.« Judith umarmte und küsste mich. »Masel tow, Elija, masel tow! Ich wünsche euch beiden alles Glück der Welt.«
    Sie legte den Kopf an meine Schulter und schmiegte sich an mich. Sanft strich ich ihr über das Haar.
    Sollte ich ihr sagen, dass ich Celestina heute Nacht verloren hatte? Aber Judith schien zu glücklich, als dass ich ihr diese innige Freude verderben wollte.
    Die Liebe ist nur ein schöner Traum, dachte ich hoffnungslos. Der Traum von der Rückkehr ins Paradies. Aber das Paradies ist verloren. Für immer.
    Die Gebetsriemen schnitten sich in meinen Arm, als ich mein Manuskript vom Schreibtisch nahm.
    Wie bedeutungslos war, was ich geschrieben hatte! Wie unsinnig, wie nichtig!
    Judith erschrak, als ich die Seiten zerriss.
    Sie versuchte, mir die Blätter zu entwinden. »Sechs Jahre lang hast du am Verlorenen Paradies gearbeitet – seit der Flucht aus Granada!«
    Die Papierfetzen schneiten auf den Boden. Judith hob einige auf, um sie wieder zusammenzufügen. Vergeblich!
    »Elija, warum tust du das?«
    »Ich will ganz von vorne anfangen.«

    »Hast du nun endgültig den Verstand verloren?«, fragte Aron bestürzt, als er die zerrissenen Seiten sah. Dann

Weitere Kostenlose Bücher