Die Evangelistin
er mich an.
»Wir können lernen, uns zu lieben, wie wir sind: Celestina und Elija. Und wir können lernen, den anderen zu lieben.«
Ich setzte mich auf, umarmte und küsste ihn.
Er schloss seine Augen nicht, während ich ihn liebkoste, sondern sah mich die ganze Zeit an, so wie ich ihn. Vor Erregung zitterte er am ganzen Körper.
»Celestina, ich habe es schon sehr lange nicht mehr getan! Ich weiß nicht, ob ich …«
Ich küsste ihm die Worte von den Lippen.
Während der Feuersturm der Lust in uns verwehte, lag Elija neben mir. Er hatte die Augen geschlossen. Versuchte er, die entschwundenen Gefühle zurückzuholen, die Lust, die Leidenschaft, die Liebe?
Oder dachte er an Sarah?
Eine Träne lief an seiner Wange herab.
Ich drehte mich zu ihm um. »Elija?«
Er öffnete die Augen und sah mich an.
»Niemals werde ich von dir verlangen, sie zu vergessen.«
Ich strich ihm über das Haar, küsste ihn, schenkte ihm Zärtlichkeit und Geborgenheit und so viel Liebe, wie ich ihm nur geben konnte, und ließ ihn weinen.
Um Sarah.
Und um sich selbst.
Ein Geräusch riss mich aus meinen Träumen.
Ein Scharren und Flattern, als ob im ersten Morgengrauen die Tauben unter dem Dach des Dogenpalastes erwachten.
Elija hatte mich im Schlaf umarmt. Sein Gesicht ruhte an meiner Schulter, sein Atem streifte meine Wange. Er schlief fest.
Um ihn nicht zu wecken, befreite ich mich vorsichtig aus seiner Umarmung, setzte mich auf und lauschte.
Alles war ruhig.
Kein Gurren, kein Flattern. Die Tauben schliefen noch.
Dann: Schritte auf der Treppe, die zur Dachkammer führte!
Schritte, die die nächtliche Stille störten. Schritte, die unaufhaltsam näher kamen!
Ich hielt die Luft an und wagte nicht, mich zu bewegen. Nur kein Geräusch machen!
O mein Gott! Wer wusste, dass wir hier waren? Waren die Männer, die mein Haus beobachteten, uns doch gefolgt? Wer hatte sie geschickt, um mich zu überwachen? Der Consiglio dei Dieci? Die Staatsinquisition?
Atemlos horchte ich in die Finsternis.
Die Schritte kamen immer näher! Durch die Tür hörte ich das Rascheln von Seide: ein Mann in einer langen Robe.
Mein Herz raste.
Panisch sprang ich auf, huschte zur brennenden Kerze und drückte den Docht ins heiße Wachs. Meine Finger zitterten so sehr, dass ich die Kerze beinahe umgeworfen hätte. Den Schmerz der Flamme spürte ich nicht.
Finsternis.
Der Mond war längst untergegangen, der neue Tag noch nicht erwacht.
Vor der Tür blieb der Mann stehen.
Habe ich sie verriegelt? Wo ist der Schlüssel?, dachte ich in meiner Panik.
Stille.
Horchte er auf ein Geräusch in der Dachkammer?
Ich konnte seinen Atem hören.
Dann: ein Klopfen, leise und verhalten, als wolle er mich nicht erschrecken, als ahne er, dass ich entsetzliche Angst hatte.
»Celestina?«, drang seine Stimme durch die Tür.
Es war Tristan!
Was wollte er? Wusste er von Elija?
In dieser Nacht hatte der Prozess gegen den spanischen Converso Ibn Ezra stattgefunden, der angeklagt worden war, das Sakrament der Taufe zu missachten und den jüdischen Glauben wieder angenommen zu haben. Ein Sakrileg!
War Ibn Ezra gefoltert worden? Hatte er unter den furchtbaren Torturen gestanden? Hatte er Namen genannt – die Namen getaufter Juden? Elijas Namen …
»Celestina, bist du hier?«, flüsterte Tristan und drückte langsam die Klinke nach unten, um die Dachkammer zu betreten. »Ich muss dringend mit dir sprechen!«
· E LIJA ·
K APITEL 6
Als müsste der Schmerz mich erinnern, was ich getan hatte, als müsste er mir ins Gewissen schneiden, wickelte ich die Gebetsriemen zum Morgengebet fest um meinen linken Arm.
Anschließend wandte ich mich um, mit dem Rücken zu den Fenstern meines Arbeitszimmers, mit Blick auf das Bücherregal – nach Osten, gen Jeruschalajim. Dann zog ich den Tallit über den Kopf, bedeckte die nassen Haare und sprach mein Gebet:
»Gepriesen seist du, Ewiger.«
Still verharrte ich im Gebet.
Elija, mein Sohn! Hast du vergessen, wer du bist?
»Ja, Vater, in ihren Armen habe ich es für einen endlosen Augenblick vergessen«, antwortete ich Ihm. »Wer ich bin und was ich tun muss.«
Bereust du es, Elija?
»Nein, Vater. Ich bereue es nicht.«
Und sie, Elija, bereut sie, dass sie dich verführt hat?
Celestina war so still und traurig gewesen, als sie mich am frühen Morgen geweckt hatte. Sie war mir ausgewichen, meinen Händen, meinen Lippen, meinen Worten, hatte sich erhoben und angekleidet. Schließlich hatte sie mich schweigend aus der
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