Die ewige Bibliothek
redeten, von denen jeder behauptete, der kühne Wohltäter gewesen zu sein, der an der Seite des sterbenden Opfers ausgeharrt hatte. Die Ehre wurde schließlich einem großen Schweden zuteil, den Juda in Wirklichkeit dabei beobachtet hatte, wie er in seiner Eile, das Gebäude zu verlassen, ein kleines Mädchen niedertrampelte. Bevor er den Park verließ, spürte Juda beide auf: Er gab dem tränenüberströmten Mädchen einen Schokoladenriegel und legte im Auto des Schweden einen Draht von der Batterie zum Benzintank.
Während er eine von Bäumen gesäumte Straße entlang ging und erste Schneeflocken sachte im Schein der Straßenlaternen trieben, dachte Juda darüber nach, was er mit Galen machen sollte, der sich zu diesem Zeitpunkt mit ziemlicher Sicherheit entweder in einer Gefängniszelle befand oder in einem Raum, an dessen Wände Matratzen genagelt waren. Welches von beidem spielte keine Rolle – die wichtigste Hürde war genommen, und mit ein wenig Geduld würden sich die Dinge von selbst regeln. Und Juda wusste schließlich, dass er alle Geduld der Welt besaß.
Das explodierende Auto des Schweden erschütterte die anderen Fahrzeuge entlang der Straße und sandte einen leuchtenden Feuerball neun Meter hoch in die Luft. Juda drehte sich nicht um, als mit Schnee vermischte Funken zu seinen Füßen niedergingen. Entschlossen schritt er in die Nacht hinaus, durch Feuer und Eis in eine neue Welt.
EPILOG
(DPA) Meldung der Deutschen Presseagentur – 27. August
BAYREUTH – Ein brutaler Mord brachte in der vergangenen Nacht die jährlichen Wagnerfestspiele in Bayreuth zu einem abrupten Ende, nachdem zwei Männer während der Aufführung der Götterdämmerung, der vierten Oper des Ring-Zyklus’, die Bühne des Festspielhauses stürmten. Während einer Szene sprang der Rektor der Universität Wien, Mikaal Gunnar-Galen, auf die Bühne und begann mit dem Vortrag der improvisierten Version einer – wie Zeugen behaupten – unorthodoxen Variante der Oper. Plötzlich zog er ein Schwert und durchbohrte das Opfer, das ebenfalls auf die Bühne gesprungen war und Szenen aus der Oper rezitierte. Bei dem Opfer, das später als Michael Langbein identifiziert wurde, handelte es sich um einen Gastprofessor für Literatur an der Universität Wien, der, wie Untersuchungen ergaben, gerade die Nachricht von seiner Entlassung erhalten hatte. Vermutungen der Ermittler zufolge könnte dies den Konflikt zwischen den beiden Männern ausgelöst haben. Es ist noch immer ungeklärt, warum sich beide im Festspielhaus aufhielten oder welche Rolle eine neue Fassung von Wagners Oper bei dem Vorfall gespielt haben könnte. Nach Augenzeugenberichten spielte Langbein anscheinend die Rolle des Siegfried und Gunnar-Galen die Rolle des Hagen, ein weiterführendes Verdachtsmoment, da der Abschnitt der Oper, den sie übernommen hatten, die Ermordung Siegfrieds durch Hagen beinhaltet. Ein Ärzteteam traf nur Minuten nach Langbeins Verletzung ein, doch alle Bemühungen um seine Wiederbelebung blieben erfolglos. Er wurde noch am Tatort für tot erklärt. Die Behörden nahmen Gunnar-Galen fest und verhörten ihn, doch er redete wirr und verhielt sich irrational. Es wurde festgestellt, dass er einen psychotischen Zusammenbruch erlitten hatte und man übergab ihn zur weiteren Beurteilung in die Obhut einer privaten psychiatrischen Einrichtung. Die verbleibenden zwei Tage des Festivals wurden abgesagt und sämtliche damit zusammenhängende Veranstaltungen bis zum Ausgang der Ermittlungen eingestellt.
(DPA) Meldung der Deutschen Presseagentur – 27. August
MÜNCHEN – Mehr als fünfzig Einwohner Münchens erwachten heute morgen und mussten feststellen, dass ihre Autos gestohlen worden waren – manche davon sogar aus verschlossenen Garagen. Offenbar wurden sie Opfer eines wohlorganisierten Verbrechens; der erste Bericht über kriminelle Aktivitäten ging kurz vor 6 Uhr morgens ein, gefolgt von einer Reihe weiterer Meldungen aus allen Teilen der Stadt. Die Polizei steht angesichts der Diebstähle vor einem Rätsel, da ihre reibungslose Ausführung im Widerspruch zu der offensichtlichen Vielfalt der gestohlenen Fahrzeuge steht. Diese reicht von einem eine Woche alten Mercedes bis zu einem zwölf Jahre alten Citroen, dessen Besitzer schwört, er habe sich seit mehreren Jahren nicht mehr in fahrtüchtigem Zustand befunden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegen nur wenige aussagekräftige Anhaltspunkte vor. Den in mehreren Berichten
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