Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm
gelesen, aber ich habe das Geld nicht ausgegraben, ich will es
nicht, ich will einzig und alleine wissen, was hier vorgeht! Was haben Sie sich
denn nun schon wieder ausgedacht?«
»Aber,
my dear young fellow!«
Frau
Weinwurm drückte Bernardos Arm. Eindringlich fuhr sie fort: »Du musst es
nehmen, es muss doch schließlich aus all dem, was passiert ist, doch noch etwas
Gutes erwachsen, nicht wahr? Du willst doch Ingenieur werden, oder? Nimm das
Geld und hau ab!«
»Aua,
Sie kneifen mich, lockern Sie mal Ihre Eisenpranken!« Bernardo löste Frau
Weinwurms starre Finger von seinem Arm und hielt sie fest. »Was haben Sie vor?
Was tun Sie hier oben?«
»Ich
sterbe.«, verkündete Frau Weinwurm trotzig und reckte hochmütig ihr Kinn nach
vorne.
»Ich
sterbe.«
Verdutzt
ließ Bernardo ihre Hand fallen, und Frau Weinwurm rutschte ein wenig von ihm
ab.
»Sie...
sterben? Jetzt? Gleich?«
»Nein,
aber bald.« Frau Weinwurm zeigte auf die Sandwiches und das Wasser. »Wenn das
alle ist, werde ich verdursten und verhungern, außerdem bin ich schon erschöpft
vom Rennen. Lange kann es nicht mehr dauern und ich fange an zu sterben.«
Verwirrt
betrachtete Bernardo die kargen Vorräte.
»Ich
werde sterben und du bist mein Erbe. Das hab ich in dem Brief nicht
geschrieben, du solltest das Geld einfach so bekommen und dein Leben beginnen!
Niemand sollte wissen, dass ich tot bin. Und du wirst es auch niemandem sagen!«
Frau
Weinwurm reckte einen Finger nach oben und wedelte ihn verneinend vor Bernardos
Nase.
»Sie
sind nicht tot.« Bernardo sah über die hitzeflirrende Ebene. Bald würde es dunkel
werden. »Und sie werden nicht sterben. Was ist das alles für ein Blödsinn?
Haben Sie Streichhölzer oder ein Feuerzeug mit? Auf dem Rückweg werden wir
sicher von der Dunkelheit überrascht.«
»Ich
hab eine Taschenlampe. Wenn die Batterie alle ist, werde ich sterben. Das hab
ich so beschlossen, und so wird es gemacht. Wie ein alter Indianer, der seinen
Leuten nicht mehr zur Last fallen will, ziehe ich mich zurück und mache mich
für die Ewigen Jagdgründe parat. Es gibt keine andere Möglichkeit: I’ll never
get out of this life alive !«
»Aber...«
Ideenfetzen schlingerten durch Bernardos Kopf, verbissen versuchte er sie
festzuhalten, irgendwie musste er Crazy I-Phone von ihren wahnwitzigen Plänen
abhalten, und das möglichst schnell, denn der Rückweg durch die Berge in der
Dunkelheit war kein Spaß. »Aber was ist denn los? Warum können Sie nicht mehr
leben? Was haben Sie getan?«
Bernardo
fiel seine betende Mutter ein, ihr tiefgeneigter Kopf über gefalteten Händen.
Ein Gedanke blitzte auf.
»Wollen
Sie mir nicht beichten? Vor Ihrer Todesstunde? Sie haben doch etwas angestellt,
oder? Sonst würden Sie sich nicht so aufführen?«
Misstrauisch
beäugte Frau Weinwurm Bernardos ruhiges, ausdrucksloses Gesicht.
»Ich
weiß nicht... beichten?«
»Denken
Sie doch nur an Ihren Daddy ! Wie viele Köpfe von Sterbenden hat er
gehalten, wie viel letzte Worte wurden ihm ins Ohr geflüstert! Ich kann
schweigen wie ein Grab, und wenn ich Ihr Geld nehmen soll, muss ich wissen, ob
es Blutzoll ist.«
»Oh
nein, oh nein, my dear young fellow, ich habe niemandem Geld weggenommen,
nichts gestohlen! Das darfst du nicht denken!«
Frau
Weinwurm betrachtete ihre aufgeschürften Handflächen und puhlte einen kleinen
Dorn aus dem Daumen.
»Geklaut
und betrogen hab ich nicht, ich hab nur zwei Menschen ermordet.«
Bernardo
hielt den Atem an. Wenn er sich jetzt bewegte, wenn er etwas Falsches sagte,
würde sie nicht weitererzählen, sich verschließen wie eine Auster.
Sie
sahen einander an.
Frau Weinwurms Blick war klar und
ernst und Bernardo wusste, dass sie die Wahrheit sprach. Frau Weinwurm
blinzelte als Erste und sagte: »Ich werde nicht alle Worte in Englisch kennen,
ich werde, um mich zu erklären, viel singen müssen, denn meine Geschichte hab
ich aus vielen Songs zusammengetragen, also sei nicht irritiert, wenn ich
singe. Es wird hier bestimmt ein tolles Echo geben, wie an deinem
Lieblingsplatz.«
Die
flimmernde Taschenlampe stand aufrecht auf dem Felsboden, eingekeilt zwischen
aufgehäuften Steinen und beleuchtete zwei fahle Gesichter.
»Moon
River...«, summte Frau Weinwurm und deutete zum Himmel. »So sah der Mond auch
aus, wunderschön, als ich im Blue Lagoon Motel ankam... wie lange ist das schon
her!«
Bernardo
schwieg. Er betrachtete Frau Weinwurms Profil, ihr weiches sommersprossiges
Gesicht, das gegen den dunklen
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