Die Ewigen
Er war hier der altgediente Kreuzritter, ich hatte keine Ahnung, wie das üblicherweise lief.
"Natürlich - warum auch nicht?", antwortete er. "So schnell bemerkt niemand, dass bei dir alles ein wenig anders läuft. Schau: Du bekommst bald den ersten Kreuzbalken, damit bist du drin. Du entwickelst dich dann körperlich noch weiter, allerdings langsamer - du kannst in etwa rechnen, dass du in fünf bis sechs normalen Jahren um ein Jahr alterst. Du wirst also nicht so schnell alt wie deine Freunde, aber erst wenn deine Generation deutlich über die Dreißig geht, wird das auffällig. Und dann werden sie dich eher darum beneiden, dass du noch so jung aussiehst, während bei ihnen schon die Haare dünner werden." Jacksons Stimme war sanft. "Also hast du sicher noch zehn bis fünfzehn Jahre vor dir, in denen niemand merkt, was mit dir geschehen ist, und in dieser Zeit kannst du selbstverständlich deine Familie sehen, deine Freunde auch."
Davide dachte darüber nach, den Blick auf seine nackten Füße gesenkt.
"Wenn meine Familie hier lebt, und Bekannte - dann erkennen die mich ja auch später noch. Also muss ich ab irgendwann ... in Rom oder so wohnen, bis alle ... tot sind?"
Sein Tonfall war sehr neutral, aber mir tat diese Frage unglaublich weh. Jackson drückte mir die Schulter, als ich zusammenzuckte, und antwortete Davide.
"Nein. Die Erwachsenen im Tal wissen ja in etwa, was mit uns los ist, und du gehörst dann eben mit zu ... den Spinnern von der Burg." Sein Lächeln steckte Davide an, dessen Augen wurden klarer - genau das schien er zu wollen, hatte ich eben in der Küche schon bemerkt, zu den coolen Jungs und Mädels von der Burg gehören. "Deswegen hat Andreas gesagt, dass du deine Eltern am besten vor vollendete Tatsachen stellst, wenn du schon initiiert bist: Sie können dich dann nicht mehr davon abbringen, weil sie Vorurteile oder Angst um dich haben. Du kannst es ihnen gleich nach dem Ritual sagen oder erst in ein paar Jahren, außerdem kannst du selbst entscheiden, ob du sie weiterhin siehst oder ob du einen Strich ziehst und Abschied nimmst. Du kannst deine Eltern wie ein ganz normales Kind bis zu ihrem Tod begleiten, wenn du das willst, daran ändert sich nichts. Du musst nur aufpassen, dass niemand Unbefugter erfährt, was mit dir oder mit uns los ist - aber die Erwachsenen in deiner Familie und deine Freunde hier im Tal können es wissen, solange sie denn zu den Eingeweihten gehören. Du kannst es ihnen auch verschweigen und einfach verschwinden, wenn dir das lieber ist. Viele von uns haben das so gemacht, weil es ... ja, leichter und weniger schmerzhaft ist." Jackson drückte mich noch mal an sich, und ich war mir nicht ganz sicher, ob seine folgenden Worte nur für Davide gedacht waren. "Sieh es einfach so: Du bekommst eine zweite Familie dazu - und zwar eine, die einstimmig beschlossen hat, dass sie dich haben will. Eine Familie, die auf ewig für dich da sein wird."
Davide nickte und sah halbwegs besänftigt aus. Wahrscheinlich hatte er sich eben zum ersten Mal Gedanken über seine Zukunft gemacht, in denen Alter und Tod eine zentrale Rolle spielte - und das konnte einen sehr wohl aus dem Bett treiben, ob man nun achtzehn oder hundertachtzig war. Er dankte uns, dann patschten seine bloßen Füße zurück ins Gästezimmer.
"Wann würdet ihr denn die erste Narbe bei ihm machen?", fragte ich Jackson, als wir uns erneut halbwegs bequem in seinem Bett eingerichtet hatten und ich mein faszinierendes Spiel mit seinen eigenwilligen, aber weichen Locken wieder aufnehmen konnte. Als Antwort auf meine Frage kam ein leises Lachen, das mich aufsehen ließ - Jacksons Smaragdaugen blickten amüsiert, aber mir war nicht klar warum.
"Worüber lachst du?"
Er umfasste mich und zog mich höher, so dass ich ihn von oben bewundern konnte.
"Du machst die Narbe bei Davide, nicht 'wir'."
Ich sah erstaunt auf Jackson hinunter, schüttelte dann den Kopf. "Ganz bestimmt nicht. Wie kommst du denn darauf?"
Ich, mit diesem Dolch über Davide gebeugt? Ihn damit schneiden, bis er blutete? Nie im Leben! Schon beim Gedanken daran wurde mir schlecht, und ich verzog angewidert den Mund.
"Es ist dein Dolch, schon vergessen? Andreas und Ciaran werden damit niemanden mehr initiieren, das ist nun deine Aufgabe."
Jackson strich mir die Haare hinter die Ohren - vergebliche Liebesmühe, denn als ich jetzt entrüstet den Kopf schüttelte, fielen sie mir meine dünnen Flusen wieder ins Gesicht.
"Blödsinn. Ich bin hier nur
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