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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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etwas, wonach du gefragt hast, entschuldige dich lieber für Fragen, die du nicht gestellt hast.«
    Der Pfleger kam und ließ sie hinaus.
    »Wie lange wird er hier bleiben?«, fragte Harry.
    »Er wird Mittwoch nach Hause geschickt«, sagte der Pfleger.
    Im Auto auf dem Weg zum Zentrum fragte Harry Beate, warum Pfleger ihre Patienten immer nach Hause schickten. Sie brächten sie doch, oder? Und schließlich seien es doch die Patienten selbst, die entschieden, ob sie nach Hause wollten oder an einen anderen Ort, nicht wahr? »Also warum können sie nicht sagen, dass sie gehen können, oder entlassen werden?«
    Beate hatte dazu nichts zu sagen, und Harry starrte in das graue Wetter hinaus und dachte, dass er sich langsam wie ein alter, müder Mann anhörte. Früher hatte er bloß müde geklungen.
    »Er hat seine Frisur verändert«, sagte Beate. »Und eine Brille bekommen.«
    »Wer?«
    »Der Pfleger.«
    »Ach ja? Ich hatte nicht den Eindruck, dass ihr euch kennt.«
    »Tun wir auch nicht. Ich hab ihn irgendwann mal in Huk am Strand gesehen. Und im Eldorado. Und in der Stortingsgata. Ich glaube, dass es in der Stortingsgata war … das muss fünf Jahre her sein.«
    Harry sah sie an. »Ich dachte, das war nicht dein Typ.«
    »Ist es auch nicht«, sagte sie.
    »Oh«, grunzte Harry. »Ich vergaß, du hast ja diesen Hirnfehler.«
    Sie lächelte. »Oslo ist eine kleine Stadt.«
    »Findest du? Wie oft hast du mich gesehen, bevor du bei der Polizei angefangen hast?«
    »Einmal. Vor sechs Jahren.«
    »Wo da?«
    »Im Fernsehen. Du hattest diesen Fall in Sydney gelöst.«
    »Hm. Das muss ja Eindruck auf dich gemacht haben.«
    »Ich erinnere mich nur noch daran, dass ich mich geärgert habe, dass du wie ein Held dargestellt wurdest, obwohl die Festnahme ja eigentlich missglückt war.«
    »Ach?«
    »Du konntest den Mörder nie vor Gericht stellen, du hast ihn ja erschossen.«
    Harry schloss die Augen und dachte daran, wie gut ihm der erste Zug der nächsten Zigarette schmecken würde, und tastete prüfend die Innentasche seiner Jacke ab. Dann zog er einen zusammengefalteten Zettel heraus und zeigte ihn Beate.
    »Was ist das?«, fragte sie.
    »Das Blatt, auf dem Grette herumgekritzelt hat.«
    »›Ein schöner Tag‹?«, las sie.
    »Das hat er dreizehn Mal geschrieben. Wie in Shining, was?«
    »Shining?«
    »Dieser Horrorfilm, du weißt schon. Stanley Kubrick.« Er sah zu ihr hinüber. »Der, in dem Jack Nicholson in einem Hotel sitzt und immer und immer wieder den gleichen Satz schreibt.«
    »Ich mag keine Horrorfilme«, sagte sie leise.
    Harry sah sie an und wollte etwas sagen, hielt sich dann aber zurück.
    »Wo wohnst du?«, fragte sie.
    »Bislett.«
    »Das liegt am Weg.«
    »Hm. Am Weg wohin?«
    »Oppsal.«
    »Ach ne, und wo in Oppsal?«
    »Vetlandsvei. Gleich beim Bahnhof. Weißt du, wo der Jørnsløkkvei ist?«
    »Ja, an der Ecke ist doch so ein großes, gelbes Holzhaus.«
    »Genau, darin wohne ich. Im ersten Stock. Meine Mutter wohnt unten. In dem Haus bin ich aufgewachsen.«
    »Ich bin auch in Oppsal aufgewachsen«, sagte Harry. »Vielleicht haben wir gemeinsame Bekannte?«
    »Vielleicht«, erwiderte Beate und sah aus dem Seitenfenster.
    »Ist doch nicht ausgeschlossen«, sagte Harry.
    Keiner von ihnen sagte noch etwas.
     
    Der Abend kam und der Wind frischte auf. Im Wetterbericht kündigten sie Sturm südlich von Stad an und im Norden zunehmende Böen. Harry hustete. Er nahm den Pullover heraus, den Mutter Vater gestrickt hatte und den dieser ihm ein paar Jahre nach ihrem Tod zu Weihnachten geschenkt hatte. Eine merkwürdige Entscheidung, dachte Harry. Er machte sich Pasta und Fleischbällchen und rief dann Rakel an und erzählte ihr von dem Haus, in dem er aufgewachsen war.
    Sie sagte nicht viel, aber er konnte dennoch hören, dass es ihr gefiel, dass er von seinem Kinderzimmer sprach. Von den Spielen und der kleinen Kommode. Davon, wie er Geschichten zu den kleinen Mustern der Tapete erdichtet hatte, als wären es verschlüsselte Märchen. Und von der einen Schublade in der Kommode, die, wie sich Mutter und er geeinigt hatten, nur ihm gehörte und die sie nicht berühren durfte.
    »Da hatte ich meine Fußballsammelkarten«, sagte Harry. »Das Autogramm von Tom Lund. Und einen Brief von Sølvi, einem Mädchen, das ich in den Sommerferien in Åndalsnes getroffen habe. Und später das erste Päckchen Zigaretten und Kondome, die dort aber ungeöffnet liegen blieben, bis das Verfallsdatum überschritten war. Sie waren so

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