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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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gesagt, sie sollte mich wecken, denn was, wenn wirklich einmal Einbrecher dort unten wären? Aber sie hat nur gelacht und gesagt: ›Dann lad ich sie zu ein paar Waffeln ein, und du wachst vom frischen Waffelduft auf, das tust du doch immer.‹ Ich sollte vom Duft aufwachen, wenn sie Waffeln machte … ja.«
    Er atmete heftig durch die Nase. Die nackten Zweige der Birke vor dem Fenster winkten ihnen im Wind zu. »Du hättest Waffeln backen sollen«, flüsterte er. Dann versuchte er zu lachen, doch es hörte sich wie Schluchzen an.
    »Was für Freunde hatte sie?«, fragte Beate.
    Grette war noch nicht fertig mit Lachen, so dass Beate die Frage noch einmal stellen musste.
    »Sie war gerne allein«, sagte er. »Vielleicht, weil sie Einzelkind war. Sie hatte guten Kontakt zu ihren Eltern. Und wir hatten ja einander. Mehr brauchten wir nicht.«
    »Kann sie Kontakt zu anderen gehabt haben, ohne dass Sie das wussten?«, fragte Beate.
    Grette blickte sie an. »Wie meinen Sie das?«
    Beate bekam hektische, rote Flecken im Gesicht und lächelte schnell. »Ich meine, dass Ihre Frau Sie nicht über alle Gespräche, die sie mit irgendwem geführt hat, informiert haben muss …«
    »Warum nicht? Auf was wollen Sie hinaus?«
    Beate schluckte und sah zu Harry hinüber. Er übernahm das Wort. »Es gibt ein paar Möglichkeiten, die wir bei jedem Bankraub überprüfen müssen, egal wie unwahrscheinlich sie wirken. Und eine davon ist, dass einer der Angestellten der Bank mit dem Täter verbündet gewesen sein kann. Es kommt vor, dass sich Bankräuber Insider als Komplizen suchen, um die Tat und die eigentliche Durchführung des Raubes zu planen. Es gibt zum Beispiel keinen Zweifel, dass der Räuber genau wusste, wann der Geldautomat aufgefüllt wurde.«
    Harry studierte Grettes Gesicht, um einen Hinweis zu bekommen, wie er es auffasste. Doch sein Blick zeigte, dass er sie bereits wieder verlassen hatte. »Wir haben das auch bei allen anderen Angestellten überprüft«, log er.
    Eine Elster schrie draußen im Baum. Klagend, einsam. Grette nickte. Erst langsam, dann schneller.
    »Aha«, sagte er. »Ich verstehe. Ihr glaubt, Stine sei deshalb erschossen worden. Ihr glaubt, sie kannte den Täter. Und dass der, als er sie nicht mehr brauchte, sie erschossen hat, um eine mögliche Spur zu ihm zu verwischen. Nicht wahr?«
    »Das ist auf jeden Fall eine theoretische Möglichkeit«, sagte Harry.
    Grette schüttelte den Kopf und lachte wieder, ein hohles, trauriges Lachen. »Es ist ganz offensichtlich, dass ihr meine Stine nicht kanntet. Sie hätte so etwas niemals tun können. Und warum sollte sie auch? Wenn sie noch ein bisschen gelebt hätte, wäre sie Millionärin geworden.«
    »Wie?«
    »Walle Bødtker, ihr Großvater. Fünfundachtzig Jahre alt und Besitzer von drei großen Gebäuden im Stadtzentrum. Im Sommer hat man bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert und seither ist es mit ihm nur noch bergab gegangen. Seine Enkel sollten jeder ein Gebäude bekommen.«
    Harrys Frage kam wie ein Reflex: »Und wer erbt jetzt Stines Haus?«
    »Die anderen Enkel.« Dann fügte Grette mit Abscheu hinzu: »Und jetzt überprüfen Sie wohl, ob die anderen ein Alibi haben, oder?«
    »Sollten wir das nicht, Grette?«, fragte Harry.
    Grette wollte antworten, hielt aber inne, als er Harrys Blick wahrnahm. Er biss sich auf die Unterlippe.
    »Tut mir Leid«, sagte er und fuhr sich mit der Hand über die kurz geschnittenen Haare. »Ich sollte wohl froh sein, dass Sie allen Möglichkeiten nachgehen. Das Ganze erscheint mir nur so hoffnungslos. Und sinnlos. Denn selbst wenn Sie ihn kriegen, kann das, was er mir angetan hat, niemals wieder gutgemacht werden. Nicht einmal eine Todesstrafe kann das. Denn das Leben zu verlieren, ist nicht das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann.« Harry kannte die Fortsetzung schon. »Das Schlimmste ist, das zu verlieren, wofür man lebt.«
    »Na dann«, sagte Harry und erhob sich. »Hier haben Sie meine Karte. Rufen Sie an, wenn Ihnen etwas einfällt. Sie können auch nach Beate Lønn fragen.«
    Grette hatte sich wieder zum Fenster gewandt und sah die Karte nicht, die Harry ihm entgegenstreckte, so dass er sie schließlich auf das Tischchen legte. Draußen war es dunkler geworden und im Glas des Fensters waren ihre halb durchsichtigen Spiegelbilder erschienen, wie Gespenster.
    »Ich hab das Gefühl, dass ich ihn gesehen habe«, sagte Grette. »Freitags gehe ich nach der Arbeit immer direkt zum Squashspielen ins SATS-Center in der

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