Die Fährte
Sporveisgate. Ich hatte keinen Partner und war stattdessen im Fitnessraum. Hab ein paar Gewichte gehoben, Rad gefahren und so. Aber da ist es ja so voll, dass man die meiste Zeit wartet.«
»Ich weiß«, sagte Harry.
»Ich war dort, als Stine getötet wurde. Dreihundert Meter von der Bank entfernt. Freute mich auf die Dusche und darauf, nach Hause zu fahren und mit dem Kochen anzufangen. Freitags habe immer ich gekocht. Es machte mir Spaß, auf sie zu warten. Spaß … zu warten. Nicht alle Männer empfinden das so.«
»Wie meinen Sie das, dass Sie glauben, ihn gesehen zu haben?«, fragte Beate.
»Ich habe eine Person vorbeigehen und in der Garderobe verschwinden sehen. Er trug weite, schwarze Kleider. Vielleicht einen Overall.«
»Und eine Sturmhaube?«
Grette schüttelte den Kopf.
»Eine Schirmmütze vielleicht?«, fragte Harry.
»Er hielt eine Mütze in der Hand. Das kann eine Haube gewesen sein oder eine Kappe.«
»Haben Sie sein Gesicht …«, begann Harry, wurde aber von Beate unterbrochen.
»Größe?«
»Keine Ahnung«, sagte Grette. »Normal groß. Was ist normal? 1,80 vielleicht.«
»Warum haben Sie das nicht früher gesagt?«, fragte Harry.
»Weil das«, sagte Grette und drückte mit dem Finger gegen die Scheibe, »wie gesagt nur ein Gefühl ist. Ich weiß, dass er es nicht war.«
»Wie können Sie sich da so sicher sein?«, fragte Harry.
»Weil vor ein paar Tagen zwei Kollegen von Ihnen hier waren. Die hießen beide Li.« Er wandte sich abrupt Harry zu. »Sind die verwandt?«
»Nein, was wollten sie?«
Grette zog die Hand zu sich. Um den fettigen Abdruck seines Fingers herum war die Scheibe beschlagen.
»Sie wollten überprüfen, ob Stine möglicherweise eine Komplizin des Täters war. Und sie haben mir Bilder vom Überfall gezeigt.«
»Und?«
»Der Overall auf dem Bild war schwarz ohne irgendwelche Zeichen. Der, den ich im SATS gesehen habe, hatte große, weiße Buchstaben auf dem Rücken.«
»Was für Buchstaben«, fragte Beate.
»P-O-L-I-Z-E-I«, sagte Grette, während er den Fingerabdruck wegwischte. »Als ich nach draußen kam, konnte ich oben in Majorstua die Polizeisirenen hören. Das Erste, was ich dachte, war, dass es erstaunlich ist, dass Räuber bei so viel Polizei überall überhaupt entwischen können.«
»Aha, und warum haben Sie das gerade in diesem Moment gedacht?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht weil mir jemand gerade den Squashschläger geklaut hatte, als ich im Fitnessraum war. Als Nächstes dachte ich, dass es womöglich Stines Bank war, die ausgeraubt wurde. Auf so etwas kommt man, wenn man seinem Hirn freien Lauf lässt, nicht wahr? Und dann bin ich nach Hause gefahren und habe Lasagne gemacht. Stine liebte Lasagne.« Grette versuchte zu lächeln. Dann begannen die Tränen zu fließen.
Harry blickte auf den Zettel, auf dem Grette herumgekritzelt hatte, um den erwachsenen Mann nicht weinen sehen zu müssen.
»Ich habe auf Ihrem Konto gesehen, dass Sie im letzten halben Jahr einen großen Betrag abgehoben haben.« Beates Stimme klang hart und metallisch. »Dreißigtausend Kronen in São Paulo. Wofür haben Sie die gebraucht?«
Harry blickte überrascht zu ihr auf. Sie schien von der Situation vollkommen unberührt zu sein.
Grette lächelte durch die Tränen. »Stine und ich haben dort unseren zehnten Hochzeitstag gefeiert. Sie hatte noch ein paar Ferientage und fuhr eine Woche vor mir. Das war die längste Zeit, die wir jemals getrennt waren.«
»Ich habe gefragt, wofür Sie die dreißigtausend Kronen in brasilianischer Währung gebraucht haben«, sagte Beate. Grette sah aus dem Fenster. »Das ist eine Privatsache.« »Und wir ermitteln in einem Mordfall, Herr Grette.« Grette wandte sich Beate zu und sah sie lange an. »Sie sind wohl noch nie von jemandem geliebt worden, oder?« Beates Gesicht wurde dunkel.
»Die deutschen Juweliere in São Paulo gelten als die besten der Welt«, sagte Grette. »Ich habe ihr den Diamantring gekauft, den sie trug, als sie ermordet wurde.«
Zwei Pfleger kamen und holten Grette. Abendessen. Harry und Beate blieben am Fenster stehen und sahen ihm nach, während sie auf den Pfleger warteten, der sie hinausbegleiten sollte.
»Tut mir Leid«, sagte Beate. »Ich hab mich lächerlich gemacht … ich …«
»Ist schon O.K.«, sagte Harry.
»Wir überprüfen immer die finanziellen Verhältnisse von Verdächtigen bei Überfällen, aber hier bin ich wohl …«
»Ich habe gesagt, es ist O.K., Beate. Entschuldige dich nie für
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