Die Fahrt nach Feuerland
hungert mit dir, er hängt mit dir seinen Hintern über die Bordwand und läßt ihn von den Wellen abwischen. Junge, du weißt ja gar nicht, was so viel Popularität bedeutet! Sie verpflichtet! Sie nagelt dich fest! Du gehörst nicht mehr dir allein, du bist Allgemeingut! Da gibt es kein Kneifen mehr, das wäre dein Ruin. Nichts wird weniger verziehen, als wenn ein Idiot plötzlich wieder normal wird! Du kannst jetzt nicht mehr aussteigen, Peter! Ab morgen heizen wir das Thema Feuerland an, daß jeder sich daran die Hände wärmt.«
»Feuerland ist doch nur ein Punkt des ganzen Projektes, und nicht einmal ein markanter!«
»Aber er macht sich gut! Er verkauft sich wie Honigbrot! Feuerland … Da spielt die Phantasie doch gleich auf allen Tasten! Das klingt nach Abenteuer, nach neuer Welt, nach Gefahr, nach Heldentum. Feuerland! Welch ein Wort! ›Der Mann, der Feuerland besiegte.‹ Junge, das klingt hundertmal besser als: ›Der Mann, der einen Krieg gewann!‹« Randler war nicht mehr zu bremsen. Mit fassungslosem Staunen sah Losskow, wie seine Idee, sein ganz persönliches Eigentum, nun weltweit vermarktet wurde. Randler hatte recht: Es gab, wollte man keinen Skandal riskieren, kein Zurück mehr. Wenn Losskow jetzt ablehnen würde, was man ihm anbot, würden alle sagen: Er kneift. Er ist ein Feigling! Welcher Mann will das von sich sagen lassen?
»Ich möchte die Angebote sehen!« sagte er. »Im übrigen könnte ich euch verklagen. Dann müßtet ihr öffentlich zugeben, daß alles falsch war, was ihr geschrieben habt.«
»Na und? Das bringen wir auf der letzten Seite links unten in der Ecke und darüber eine rot unterstrichene Doppelzeile: ›Der Superbusen von Los Angeles. 127 cm Umfang und freischwebend!‹ … Wer kümmert sich dann noch um deine Berichtigung? Peter, Junge, sei kein Moralist! Alles, was du brauchst für deine große Idee, wird dir vor die Tür gelegt! Was willst du mehr?! Einfacher geht's doch nicht! Mit eigener Kraft schaffst du es nie! Himmel noch mal, nenn dein Boot ›Sternenklar‹ und papp auf die Segel die Schrift von ›Blitz im Haus‹. Die Hauptsache ist doch, daß du dich deinen Forschungen widmen kannst. Alle großen Männer haben ihre Mäzene gehabt: Wagner seinen Bayernkönig, Haydn seinen Esterhazy, Goya seinen Alba, Michelangelo seinen Medici. Und Peter von Losskow segelt mit einem Vollwaschmittel, was soll's? Der Erfolg ist maßgebend. Und das Fundament liefern wir!«
Losskow sah ein, daß es sinnlos war, anderer Meinung zu sein. Er stand auf, kippte den Whisky herunter, den ihm Randler eingeschüttet hatte, und sagte: »Wenn was ist, ich bin zu Hause. Du weißt ja, wo ich wohne.«
Dann ging er, in der leisen Hoffnung, daß sich die Dinge nicht so vehement entwickeln würden, wie es Randler in seinem Enthusiasmus prophezeit hatte. Das alles ist nur eine Tagessensation, dachte Losskow. Übermorgen spricht keiner mehr davon. Wen interessiert dann noch das Fernweh der Wikinger? Und Feuerland? Das liegt viel zu weit weg, unten an der Spitze Südamerikas, das Ende eines Kontinents. Wer kümmert sich um Feuerland? Kein Mensch! Er irrte sich.
Eine ganze Woche lang lebte die vielgelesene Seite 3 der Zeitung von der ›Peter-von-Losskow-Story‹. Dieter Randler übertraf sich selbst. Was er im Zusammenhang mit Feuerland erfand, nahm sich zwar zunächst wie eine grandiose journalistische Leistung aus, war aber in Wahrheit eine kaum noch zu überbietende Frechheit dem Leser gegenüber. Nach Randlers Feuerland-Bericht mußte diese einsame Felsengegend am Südzipfel Südamerikas das gefährlichste aller immer noch nicht restlos erforschten Gebiete dieser Erde sein. Er schämte sich nicht einmal zu behaupten, Seefahrer hätten vom Meer aus beobachtet, daß in riesigen Felshöhlen noch Tiere lebten, die man nur aus Rekonstruktionen der vorzeitlichen Fauna kannte. »Gibt es noch Drachen?« fragte Randler kühn und antwortete ebenso keck: »Auch dieses Rätsel will Peter von Losskow lösen!« In den Text war ein Bild eingeschlossen, eine Fotomontage: Im Hintergrund Feuerland, im Vordergrund das wild bewegte Meer. Darüber die Illustration zu einer alten Sage: ein riesiger fliegender Drache. Es wirkte ungemein überzeugend.
Nach einer Woche kam Randler zu Besuch. Er schleppte einen Koffer mit, schüttete den Inhalt aufs Sofa und setzte sich zufrieden in einen der tiefen Ledersessel.
»Nun lob mich mal, Junge!« sagte er fröhlich. »Alles Briefe! Leserpost. Angebote. Kommentare.
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