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Die Fahrt nach Feuerland

Die Fahrt nach Feuerland

Titel: Die Fahrt nach Feuerland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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das? An was denken Sie jetzt? Haben Sie noch Angst vor dem Tod?«
    Am 45. Tag flog Randler auf eigene Kosten mit einem Flugboot zum Kap Horn und kreuz und quer über das Seegebiet. Es war ein herrlicher, klarer, ruhiger Tag, eine wahre Seltenheit. Der Atlantik lag unter ihnen wie eine blaue Decke mit Kräuselmuster.
    Sie flogen, bis der Treibstofftank signalisierte: zurück!
    »Es ist völlig sinnlos«, sagte der Pilot, ein Engländer, der für die argentinische Feuerland-Verwaltung flog. »Nicht wegen der 45 Tage, da könnte man noch hoffen. Aber wer weiß, wo sie treiben?«
    Immer und immer wieder diese Frage. Und dann der Satz, der Randler still machte, weil er zwingend logisch war:
    »Sie wußten von den Gefahren. Sie haben sich freiwillig hineingewagt. Was jetzt passiert ist, mußten sie in ihre Rechnung aufnehmen. Es gibt nur einen Verantwortlichen: die vier Vermißten.«
    Der 69. Tag.
    Sie lebten noch immer.
    Aber wie lebten sie?
    Trosky hockte am Eingang der Insel und grölte. Helena und Lucrezia, mit Geschwüren übersät, lagen auf den Decken, apathisch und stumm nach oben starrend. Losskow wusch sie ab und zu, opferte eine Schüssel Regenwasser, um das Salz aus den Wunden zu waschen, teilte die Verpflegung ein: pro Tag zwei Kekse, ein Stückchen Schokolade, einen halben, matschigen Zwieback, jede Stunde einen Schluck Wasser. Das Salz im Gaumen brannte und steigerte das Durstgefühl bis zum Wahnsinn. Das Schlucken wurde immer mühsamer.
    Losskow fütterte die Mädchen wie Säuglinge, legte ihre Köpfe in seinen Schoß und wartete, bis sie die Kekse heruntergewürgt hatten. Dann gab er ihnen vorsichtig das Wasser, jedem verschütteten Tropfen nachblickend, als rollten Diamanten von den Lippen. Lucrezia war zu schwach, noch selbst den Becher zu halten. Ihre Lippen, ihr Gesicht, die Gelenke waren aufgedunsen, die Augenhöhlen entzündet, die Haut vom Salz gegerbt und rissig.
    Drei Tage lang sah Trosky mit gesenktem Kopf und mahlendem Unterkiefer zu, wie auch Mr. Plump seinen Anteil bekam: einen Keks, ein Stück Zwieback, einen Schluck Wasser, ein Stückchen Schokolade. Dann trommelten Troskys Finger auf seinen Schenkeln, er wandte sich ab, starrte durch den Eingang hinaus aufs Meer oder ließ sich ins Wasser gleiten, hängte sich an die Halteseile und trieb so lange im Ozean neben der Gummiinsel her, bis er vor Frost klappernd wieder an Bord kam und sich in seine Decke wickelte.
    An diesem 69. Tag grölte Trosky in den Tag hinaus. Seit zwei Tagen beobachtete Losskow mit Sorge, wie der Irrsinn sich in Trosky festsetzte, wie der Mann keine Kraft mehr hatte, dagegen anzukämpfen, wie dieses zerstörte Wesen nun der Katastrophe zusteuerte.
    »Ich habe Hunger!« krächzte Trosky und klatschte im Takt in die Hände. »Hunger! Hunger! Hunger!« Mit den Füßen, die er über den Wulstrand hängen ließ, trat er gegen die Wellen und jauchzte in immer kürzeren Abständen. »Es gibt Fleisch, Fleisch, Fleisch, und zwar gleich, gleich, gleich!« Und wieder und wieder. »Immer Fleisch, Fleisch, Fleisch, wir sind reich, reich, reich!«
    Mit einem Sprung kehrte er in die Insel zurück, trat Losskow gegen den Bauch, der verlor das Gleichgewicht, stürzte auf Helena und klammerte sich an ihr fest. Die Gummiinsel schwankte stark, aber Trosky übertönte alles mit einem irren Schrei, selbst das Aufkreischen von Lucrezia, als er mit krallenartigen Fingern Mr. Plump vom Boden riß und an sich drückte.
    »Wir haben Fleisch!« schrie er. »Fleisch! Fleisch! Fleisch!«
    »Jan!« brüllte Losskow. Er wollte aufspringen, aber der Tritt in den Leib lähmte ihn von den Hüften abwärts. Er blieb auf Helena liegen, die sich nicht rührte, warf sich zur Seite, suchte eine Pistole, fand sie neben der Keksbüchse, entsicherte sie und drückte auf Trosky ab. Wie damals bei der Signalpistole gab es ein Knacken, sonst nichts. Die Munition war naß, die Pistole durch Salzwasser zerstört.
    Trosky lachte dröhnend, hob Mr. Plump hoch und legte seine rechte Hand auf seinen Kopf. Der kleine Hund ahnte sein Los, er wimmerte und versuchte zu beißen, seine Beinchen strampelten verzweifelt, aus großen, traurigen Augen, diesen einzigen Fenstern zum Leid einer Kreatur, glotzte er Trosky an. Er versuchte sogar noch zu bellen, heiser, auch er längst vom Salz zerfressen, und schnappte nach Troskys linker Hand, die seinen Bauch tätschelte.
    »Wir haben Fleisch!« sagte Trosky plötzlich ganz ruhig. »Wir leben weiter.«
    Losskow schloß die Augen. Es

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