Die Fahrt nach Feuerland
ist ein schönes Spielchen, wenn der Magen knurrt.«
In der Nacht zum 28.Tag schlief Losskow mit seiner Pistole. Sie war in einer Decke verborgen, die er als Kopfkissen gefaltet hatte. Trosky, dem das nicht entgangen war, grinste zu ihm hinüber. »Ab hundert Tage!« sagte er, und nur Peter verstand ihn. »Wir haben erst den 27.«
Der 41. Tag.
Das Wasser war nun knapp geworden, der Proviant schrumpfte zusammen auf Schokolade, Fruchtstangen, muffig schmeckenden Keks, pappige Zwiebäcke und drei Dosen Schwarzbrot. In einem Sack verwahrte Helena als größte Kostbarkeit noch drei Dosen Nudeln mit Rindfleisch, zwei Büchsen mit Wiener Würstchen und zwei Vakuumpackungen mit geschälten Kartoffeln. Wie eine Raubtiermutter verteidigte sie ihre Schätze und schlief vor dem Vorratssack. Wer nachts heimlich an die Verpflegung wollte, mußte über sie kriechen. Das hätte sie gemerkt und wild um sich geschlagen.
Sie war gewarnt worden. Am 36. Tag, nach einem Krach mit Losskow über Mr. Plump, dem Trosky vorgerechnet hatte, daß man das Leben um ein Drittel verlängern könnte, wenn man das Fressen des Hundes und seinen Wasserbedarf auf die Menschen aufteilte, schrie Trosky in einem seiner grenzenlosen Wutanfälle:
»Es ist zum Kotzen! Mir kommt die Galle hoch! Ich muß nachspülen, ich verbrenne an der Galle!« Er kroch auf die Verpflegungsecke zu, aber Helena warf sich ihm in den Weg und wollte ihn wegstoßen. »Aus dem Weg, du Samthure!« brüllte Trosky, schleuderte Helena beiseite, griff nach der Kognakflasche und setzte sie an den Mund. Er konnte drei lange Schlucke machen, bis Losskow sie ihm von den Lippen schlug. Sie fiel auf den Boden, und Trosky warf sich mit einem irren Aufschrei auf die Lache und schlürfte den Rest voller Gier von der Gummimatte.
»Du hast mich geschlagen!« sagte Trosky hinterher und musterte Losskow, als wolle er eine gute Stelle suchen, wo er ihn greifen konnte. »Du lächerliches Knäblein hast mich geschlagen! Mich! Jan Trosky! Das wirst du bezahlen!«
Jetzt, am 41. Tag, dümpelten sie auf einer ziemlich ruhigen See dahin, salzverkrustet, die Körper mit Geschwüren übersät, von Magenkrämpfen und plötzlichen Halluzinationen geschüttelt. Lucrezia lag apathisch auf ihrer Decke und kroch nur zum Eingang, wenn sie ihre Notdurft verrichtete, Helena hütete, wie Alberich das Rheingold, ihren letzten Proviantsack und die Plastikflaschen, die man durch aufgefangenes Regenwasser immer wieder auffüllte. Es schien genau einzutreffen, was Trosky prophezeit hatte: Man würde nicht verdursten, der Himmel sorgte für Wasser. Aber man würde verhungern.
Wohin die Gummiinsel trieb, hatten sie längst zu berechnen aufgegeben. So wie der Wind sich drehte, so drehten sie sich mit. Mal trug das Meer sie nach Norden, dann wieder nach Osten, dann tagelang nach Süden. »Wir sind die gelbe Hochseequalle, juchhu, juchhu, heissa!« grölte Trosky. »Wir treiben nach Amerika, nach Afrika, nach Hongkong und Hawaii. Nur Feuerland, das sehn wir nicht, da sind wir längst vorbei!« Er starrte irr um sich, bog die Enden seines verfilzten Bartes nach oben und wartete auf Beifall. »Das ist ein Lied, was?! Das sollte man für die Nachfahren an die Wand schreiben. Die Nationalhymne der Verrückten vor Kap Horn. Was glotzt ihr mich alle so an?! Ihr schimmligen Kuhaugen! Ihr schwammigen Frösche! Wir sind die gelbe Hochseequalle, juchhu, juchhu, heissa!«
Die blinkende Signallampe auf der Spitze des Zeltdaches leuchtete längst nicht mehr. Die Kontakte waren oxydiert, die Batterien leer, der Mechanismus vom Salz zerfressen. Einmal, am 33. Tag, glaubte Trosky in der Ferne ein Schiff zu sehen. Über den Wellenkämmen tauchten Aufbauten auf. Losskow sah sie nicht, aber Trosky schrie wie ein Tier und verlangte die Signalpistole.
Er steckte die rote Rakete auf, stieß den Arm in den Himmel und drückte ab. Es machte klick, mehr geschah nicht. Die Rakete blieb auf dem Lauf stecken.
»Du Hurenaas!« brüllte Trosky. »Zisch in den Himmel! Da ist ein Schiff! Ein Schiff!«
Er drückte noch einmal ab, der Bolzen traf den Treibsatz, aber er hinterließ dort nur eine Delle. Die Rakete zündete nicht. Vorsichtig nahm Losskow die Pistole aus Troskys erschlaffender Hand.
»Das Pulver ist feucht geworden«, sagte er. Seine Stimme klang krächzend; das Salz zerstörte auch Gaumen und Rachen. Trosky starrte ihn an.
»Heißt das, wir können uns nicht mehr bemerkbar machen.«
»Ja.«
»Sie fahren an uns vorbei, und wir
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