Die Falken Gottes
… Magnus Ohlin«, krächzte der Mann nun auf deutsch. Er hustete. Blutiger Speichel floß aus seinen Mundwinkeln. »Magnus Ohlin … sag ihm …«
|17| Die Finger erschlafften. Seine Augen flackerten. Der Körper spannte sich, und er ließ seufzend den Atem entweichen.
Anneke stolperte zwei Schritte zurück und fiel auf den Boden. Nachdem sie den ersten Schrecken überwunden hatte, brach sie einen dünnen Ast ab und strich damit über das Kinn und die Wange des Mannes, doch der rührte sich nicht mehr.
»Bist wohl nun wirklich gestorben«, sagte sie leise. Anneke schlug rasch ein Kreuz über ihrer Brust, dann rannte sie davon.
|19| Kapitel 2
Annekes hastige Flucht wurde jäh gestoppt, als sie über eine aus dem Boden ragende Baumwurzel stolperte und lang auf die Erde schlug. Stöhnend richtete sie sich auf und stellte mit Entsetzen fest, daß sie bei dem Sturz auf das Gebetbuch gefallen war und dabei die ohnehin schon lädierte Bindung so arg in Mitleidenschaft gezogen hatte, daß rings um sie herum lose Seiten verstreut lagen. Zudem war der Einband nun mit Erde und Dreck verschmiert. Wie, um Himmels willen, sollte sie jetzt Lucia Monsbach unter die Augen treten?
Sie wandte sich um und warf einen bangen Blick in die Richtung, in der sie den Toten zurückgelassen hatte. Die Stelle an ihrem Unterarm, an der dieser Mann sie festgehalten hatte, brannte so heftig, als hätte man sie mit Nesseln bestrichen. Womöglich war der Mann bereits tot gewesen, als er sich aus der Senke erhoben hatte. Ein Wiedergänger, dessen Blick sie verflucht hatte.
Anneke klaubte die Seiten zusammen und legte sie zwischen die Buchdeckel, dann rannte sie weiter. Ihre Füße schmerzten, als sie endlich den Gasthof erreichte, der am Rande der Lengericher Ortschaft direkt an der Straße von Osnabrück nach Münster lag. Die Monsbach-Schenke bestand aus einem Haupthaus und einer großen Stallung. Seybert Monsbach hatte das Fachwerkgebäude vor zehn Jahren errichten lassen. Seitdem war es an vielen Stellen erweitert und umgebaut worden. Da Osnabrück und Münster vor einigen Jahren zu den Schauplätzen eines wichtigen Friedenskongresses bestimmt worden waren, fanden sich |20| in Lengerich immer wieder Reisende aus aller Herren Länder ein, die auf ihrem Weg von einer Kongreßstadt zur anderen oftmals zu einer Rast oder zur Nachtruhe in die Monsbach-Schenke einkehrten. Hier erwartete sie nur wenig Komfort, aber ein kräftig gebrautes Bier, mit dem sich Seybert bis über die Osnabrücker Grenzen hinaus einen guten Ruf erworben hatte.
Seybert hatte Anneke gegenüber keinen Hehl daraus gemacht, wie gut sich seine Geschäfte seit dem Beginn des Kongresses entwickelt hatten. Anneke indes wußte nur wenig über das Kongreßgeschehen. Sie hatte vor einiger Zeit beiläufig aufgeschnappt, daß die Altgläubigen und die Protestanten größtenteils getrennt voneinander die Gespräche führten und daß die katholischen Fürsten darum mit den Franzosen, Spaniern und den Vertretern der niederländischen Generalstaaten in Münster Quartier bezogen hatten, während die schwedische Delegation mit den evangelischen Reichsständen in Osnabrück untergebracht worden war. Auch in Lengerich, das auf der Mitte des Weges zwischen den beiden Kongreßstädten lag, waren die Gesandten schon des öfteren zu Verhandlungen zusammengetroffen.
Anneke hatte nie recht verstanden, warum sich der Kongreß über Jahre hinzog. Allem Anschein nach waren die Monsbachs aber davon überzeugt, daß die Diplomaten noch eine weitere lange Zeit in Münster und Osnabrück verweilten, denn nachdem Seybert und Lucia im vergangenen Jahr zwei neue Schlafräume zur Beherbergung eingerichtet hatten, planten sie nun bereits eine Erweiterung des engen und stickigen Schankraums.
Anneke lief am Brunnen und am großen Dunghaufen vorbei und blieb dann vor der Stallung abrupt stehen. Sie fluchte leise, denn dieser Tag hielt weiteres Ungemach für sie bereit.
Vor ihr führte der Knecht Wendel die gescheckte Stute |21| Charlotta in den Stall. Also war Lucia Monsbach früher von dem Besuch bei ihrer Schwester heimgekehrt, als Anneke es erwartet hatte. Das beschädigte Buch in ihrer Hand wurde plötzlich schwer wie ein Stein. Annekes Magen verkrampfte sich. Die Monsbach-Wirtin würde es gewiß bemerkt haben, daß ihre Magd sich von der Arbeit entfernt hatte.
Doch noch weit mehr flößte Anneke der Apfelschimmel, der an ein Gatter neben der Stallung angebunden worden war, Furcht ein. Sie ging auf das
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