Die Falken und das Glück - Roman
neben ihn auf die Holzbank. Die Torfbriketts kokelten und glommen. Dennoch fuhr ihr die Kälte bis in die Knochen. Sie hauchte in ihre Hände, die vom Durchzug rot waren. Ihre Schultern schmerzten. Geräuschlos weinte sie in den Ärmel ihres Pullovers. Sie wollte sich nicht auch noch für ihre Tränen rechtfertigen. Wenigstens Pharao war froh gewesen über ihre Rückkehr.
Daniel blaffte, allein sei es ihm gut gegangen. Warum sie nicht gleich in Dublin geblieben sei?
Warum er dann ständig angerufen habe?
Sie habe mindestens so oft angerufen.
Ich habe mir Sorgen gemacht!
Er sorge schon für sich selber, gab er lakonisch zurück.
Erneut wollte er wissen, warum sie zurückgekommen sei.
Mein Leben ist hier, antwortete sie.
Dein Leben!? Ist das alles? Und ich?
Er könnte zur Abwechslung auch mal was Nettes sagen, dass er sich freue, sie zu sehen zum Beispiel.
Ich freue mich aber nicht!
Und dann packte sie aus. Plötzlich lag ihr viel daran, dass er von ihrer Eroberung wusste. Aber sie erzählte ihm nicht die Wahrheit. Der junge Mann war unerfahren gewesen, ungeschickt. Sie hatte die Nacht in ihrem B&B verbracht, allein. Lieber arbeitete sie an ihrem Manuskript. Daniel wollte wissen, ob der Student besser gewesen sei als er. Linda sagte ja, um Lichtjahre. Und sie freute sich über sein bestürztes Gesicht. Sie schmückte die eine Nacht aus, sie überhöhte und erfand dazu, wie früher beim Beichten, als sie sich schlimme Sachen ausgedacht hatte, um den Priester nicht zu langweilen. Daniel sog ihre Lügen dankbar auf. Nun hatte er endlich seinen ersehnten, befürchteten Beweis. Seine Frau war untreu, er hatte es immer gewusst. Sie war schlecht. Er hatte Recht gehabt, ihr all die Jahre zu misstrauen. Linda erzählte ihm, was er hören wollte. Ihre Schilderungen machten ihn wütend. Und sie erregten ihn.
Daniel war gierig, er war grob, er war unersättlich. Als könnte er sie für immer an sein Bett fesseln, wenn er nur hart genug vorging.
Als könnte er sie zurückgewinnen.
In seinem weißen Strampelanzug lag das Baby in Lindas Armen und schlief. Sie beobachtete, wie ein Lächeln über das winzige Gesicht huschte, als träumte es von einem Engel. Linda blinzelte, als blende sie das Licht. Langsam wagte sie es, die Augen aufzumachen. Und alles war weiß. Und alles war still, als sie die kleine Sarah zum ersten Mal im Arm wiegte.
Das Baby wachte auf und erbrach sich. Weiß ergoss sich die Milch über den Ärmel ihres neuen Pullovers. Ohne viel zu studieren, hatte sie sich am Flughafen einen weißen Kaschmirpullover und weiße Jeans gekauft, sie hatte die dunklen Farben ihrer Ehejahre nicht einen Tag länger ertragen können. Auf der Flughafentoilette hatte sie sich umgezogen. Ganz in Weiß war sie in Zürich ins Taxi gestiegen, um zu ihrer neugeborenen Nichte zu fahren.
Komm allein, hatte Sidonie gefleht, aber komm.
Ich kann nicht, sagte Linda. Er wird mich nicht gehen lassen.
Was ist los, Schwesterherz, fragte Sidonie, hast du Angst?
Linda kämpfte mit den Tränen, schwieg.
Schlägt er dich?
Sidonie insistierte, ihre Stimme klinge, als sitze ihr der Teufel im Nacken.
Ich will ihn nicht hier haben!
Linda begriff, dass sich Sidonie vor Daniel fürchtete, dass sie Angst hatte vor seiner Unberechenbarkeit. Dass sie Angst hatte, er würde ihnen etwas zuleide tun.
Komm, bat sie dringlich. Und wenn es sein muss, bleib. Du kannst eine Weile in der Mansarde wohnen.
Sag niemandem etwas, bat Linda.
Das kann ich nicht verantworten, sagte Sidonie.
Linda bettelte. Sie würde alles verlieren, sie würde die Liebe ihres Lebens verlieren. Sie würde ihre Existenz verlieren. Daniel und das Haus und das Gärtchen waren alles, was sie hatte. Sie würde die Insel verlieren, das Grab, auf das sie jeden Morgen Blumen stellte, ihren Ausguck im Turm. Sie würde das Meer verlieren und die Stürme und den weiten Himmel. Sie hätte ihrer Schwester nichts sagen dürfen.
Mein Leben steht auf dem Spiel, schluchzte sie, bitte behalte alles für dich.
Ich buche dir den nächsten Flug, sagte Sidonie. Du bittest jemanden, dich nach Galway zu fahren. Oder nimm ein Taxi. Steig keinesfalls in sein Auto ein. Kapiert?
Bitte, nicht!
Ich werde mit Markus reden, sagte Sidonie. Wir holen dich da raus. Informiere die Polizei. Und schlaf nicht mehr im Haus.
Wir haben keinen Polizisten auf der Insel. Und ich schlafe sowieso auf dem Sofa im Wohnzimmer.
Du schläfst nicht mehr im Haus! Sidonie erhob die Stimme.
Er wird mir nichts mehr tun,
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