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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Mackowski
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zu wechseln, um den Blaumann gegen eine Hose zu tauschen, auf der selbst nach der Wäsche noch Flecken waren, die nach Schnaps rochen.
    Tränen sammelten sich in seinen Augen, und die Tränen rutschten so tief in seine Kehle, dass es ihn würgte. Alles vermischte sich. Stadt und Erinnerungen. Jetztzeit und Vergangenheit. Außen und innen.
    François wusste nicht, ob die Gloriette Tag und Nacht beleuchtet war oder das Parlamentsgebäude oder beides. Er wusste nicht, welche Linie zum Karlsplatz führte und ob man an der goldenen Kuppel der Sezession vorbei musste, wenn man von stadtauswärts über die Wienzeile kam.
    Er sah nur, dass der Bahnsteig nass war, dass der Wind Laub aufwirbelte und ein paar Blätter auf die Gleise gegenüber fegte.
    Immer noch kam er sich vor wie ein Dieb, der sich eines Nachts davongeschlichen hatte, um einen neuen Namen, eine neue Identität anzunehmen. Insgeheim verachtete er sich dafür. Er dachte an seine Mutter. Eine zierliche Frau mit französischem Akzent. Wie sie ihn immer angesehen hatte! Als ob er ihr etwas vormachen würde. Sie hielt ihn für einen Lügner. Und noch bevor François wusste, was ein Lügner war, stellte er sich andere Menschen, andere Orte vor. Am liebsten kämpfende Männer in Uniformen. Legionäre.
     
    François und Katzan.
    Katzan war noch nicht achtzehn, François fünfundzwanzig als sie anheuerten.
    Acht Tage lang ließen sie Untersuchungen über sich ergehen, spendeten Blut und wurden von oben bis unten desinfiziert, als hätten sie Ungeziefer. Am Ende die Tonsur, die französische Uniform und das képi blanc. Nach sechs Monaten Ausbildung dreißig Tage Knast, weil sie heimlich über die Kasernenmauer geklettert waren. Von da an zogen sie rund um den Globus.
    Siebenmal verwundet, dreimal Amöben-Ruhr, einmal Sumpffieber.
     
    Warum dachte er überhaupt zurück? Was ging ihn das alles noch an? François starrte in das dunkle Fenster, das ihm sein Gesicht zurückwarf.
    Es sagte ihm, dass er frisch und energiegeladen aussah mit seinen vierundvierzig Jahren, sogar richtig gut, obwohl er nicht viel geschlafen hatte.
    François fuhr sich über die stoppelige Wange.
    Rasieren wollte er sich, etwas frühstücken vielleicht, und dann?
    François packte seinen Rucksack, stieg in seine Boots, die er unter dem Bett, auf den Seiten der Le Monde liegen sah und verließ das Abteil.
    Auf dem Gang war es eng. Leute drängelten. Als der Zug stoppte, fiel ihm jemand in den Rücken.
    »Entschuldigung!«, sagte eine Stimme.
    François blickte hinter sich und blieb gespannt, als würde auf diese Entschuldigung ein Schlag folgen. Doch außer seinem eigenen Fluchtreflex, der ihm als heiße Welle durch seinen Körper schoss, geschah nichts. Was sollte auch geschehen?
    François war auf Hochspannung.
    Wie immer vernahm er Geraschel von Kleidung selbst aus weiter Entfernung. Er überhörte kein Räuspern, kein Klicken eines Feuerzeugs, und manchmal, da hörte er auch nur sein Herz laut schlagen.
    »Wien Westbahnhof«, schepperte es jetzt zum letzten Mal aus dem Lautsprecher. Dann gingen die Türen auf.
    François zog einen Zettel aus seiner Jackentasche. Katzans Telefonnummer.
    Wie einer, der zu spät dran war, sprang er auf den Bahnsteig und lief an Gepäckwagen vorbei, die Berge von Koffern geladen hatten. In der Ankunftshalle blieb er stehen. Kein Verkehr, niemand an den Ticketschaltern, nur eine Gestalt, die leere Coladosen, Papiere und Sandwichreste auf einem Blech zusammenfegte.
    Wie ausgestorben, dachte François und machte, dass er nach draußen kam.
    Merde!
     
    Wien war ein einziger Verdunkelungsvorhang.
    Am Taxistand wartete nur ein einziger Wagen.
    »Zum Café de l’Europe«, sagte François durch die halb geöffnete Scheibe. Er war nicht sicher, ob es das Café überhaupt noch gab. Der Fahrer, ein Mann mit ölig glänzendem Haar, griff mit dem linken Arm nach hinten. Wortlos öffnete er ihm die Tür zu den Rücksitzen. François wusste, dass man hier mit höflichen Gesten zurückhaltender sein würde als in Paris, auch wenn die Touristen weltweit vom Charme, von diesem ganz besonderen Entgegenkommen der Wiener, schwärmten.
    Das Café gab es also noch.
    Nach ein paar Metern auf dem Gürtel der Stadt, wollte der Fahrer reden. Er hatte die französische Färbung in seiner Stimme registriert.
    »Die Frauen in Frankreich sind hübscher als die Wienerinnen, oder?«
    »Kann sein«, sagte François und hatte keine Lust, gerade mit diesem Mann über Frauen zu debattieren. Er zog

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