Die falsche Frau
BKA
teilten, die jedoch glücklicherweise schon vor neun im Palace-Hilton zu tun
hatten. Was ich mit meinen Mitarbeitern zu besprechen hatte, war erst einmal
nicht für fremde Ohren bestimmt.
»Krisensitzung«, verkündete ich, nahm mir einen Stuhl und setzte
mich ans Kopfende der beiden moosgrünen Behördenschreibtische. »Kollegin
Guballa treibt irgendein linkes Spiel mit uns, und ich habe bisher keinen
Dunst, zu welchem Zweck sie das tut.«
»Was genau heiÃt das?« Balke machte die Beine lang und faltete die
Hände auf dem von keinerlei Fettansatz verunstalteten Bauch.
»Sie hält systematisch Informationen zurück. Zum Beispiel hat sie
aus Pakistan sehr wohl hoch aufgelöste Fotos von Frau Landers bekommen. Sehr
gute und gestochen scharfe Fotos. Mir gegenüber hat sie aber immer wieder das
Gegenteil behauptet. AuÃerdem hat sie zum Beispiel keine einzige Mail an die
deutsche Botschaft in Islamabad geschickt.«
»Dann will sie vielleicht gar nicht, dass diese Terroristin geschnappt
wird?«, sagte Evalina Krauss entgeistert.
»Ich nehme an, sie möchte den Triumph für sich allein haben«,
erwiderte ich. »Und ⦠da fällt mir ein, ich müsste mal kurz telefonieren.«
Krauss schob mir wortlos ihren Apparat in Reichweite. Es dauerte ein
Weilchen, bis von Lüdewitz im Tagungshotel gefunden war.
»Woher genau stammt die Information, dass Judith Landers tot ist?«,
fragte ich.
»Kann ich nicht sagen.« Er gähnte unverhohlen. »Sie müssten in
Wiesbaden anrufen.«
Er diktierte mir eine Nummer, und zwei Minuten später wusste ich
mehr: Bei besagtem Verkehrsunfall auf einem nordindischen BergsträÃchen â ein
Landrover war in eine Schlucht gestürzt â waren drei Menschen ums Leben gekommen.
Ein Mitarbeiter der UN, eine junge französische Krankenschwester, die im
Dienste von Médecins Sans Frontières unterwegs war, und eine Frau im Alter von
Judith Landers, die einen deutschen Reisepass mit sich führte. Dieser Pass
lautete auf den Namen der Terroristin und war vor elf Jahren abgelaufen. Die
Schluchten waren tief im Vorderen Himalaja, alle drei Insassen auf der Stelle
tot gewesen.
Ich hatte gerade aufgelegt, als Balkes Telefon trillerte. Er hörte
kurz zu und reichte mir den Hörer. Es war Sönnchen, die als Einzige wusste, wo
ich steckte, und Weisung hatte, dies Helena auf keinen Fall zu verraten, sollte
sie überraschend auftauchen. Vermutlich war sie jedoch längst wieder im Hotel
auf der Suche nach was auch immer.
»Sie ist grad kurz da gewesen«, berichtete sie. »Jetzt ist sie auf
dem Weg ins Hotel. Und ich würd ja zu gern wissen, was Sie da unten
Geheimnisvolles zu beraten haben.«
»Wissen Sie was?«, sagte ich kurz entschlossen. »Kommen Sie einfach
dazu. Dann muss ich später nicht alles noch mal erzählen.«
»Wenn sie wirklich was vorhat«, murmelte Krauss, als ich auflegte,
»dann ist heut die letzte Gelegenheit dafür.«
Die Tür öffnete sich. Sönnchen schlich herein und setzte sich
geräuschlos.
»Die Pressekonferenz.« Balke knispelte an seinen Fingernägeln herum.
»Wenn überhaupt, dann da.«
An die hundert Personen würden im Saal sein. Journalisten aus aller
Welt. Selbstverständlich alle überprüft und akkreditiert und nochmals
überprüft. Und dennoch â je mehr Menschen anwesend waren, desto gröÃer war die
Gefahr, dass etwas schiefging.
Sönnchen sah auf die Uhr. »Um eins fängt sie an.«
Balke legte den Kopf in den Nacken und rieb sich die müden Augen.
»Wir haben noch vier Stunden, um die Welt zu retten.«
»Was ich mich die ganze Zeit frage«, sagte Evalina Krauss langsam.
»Wieso kommt sie her, um diesen Minister umzubringen? Wieso nicht schon vor
fünf Jahren oder vor zehn? Wieso ausgerechnet jetzt?«
»Ich glaube, ich habe letzte Nacht die Antwort auf Ihre Frage
gefunden.«
Ich berichtete, was ich unter vielem anderem in Helenas Dateien
gelesen hatte: Judith Landers hatte in Pakistan geheiratet, sechs Jahre nach
ihrer Ankunft. Ihr Ehemann war ein Engländer namens Matthew Wollstonecraft. Sie
hatte den Namen also nicht zur Tarnung angenommen, sondern trug ihn ganz
offiziell. Nur ihren alten Vornamen hatte sie â vermutlich zur Tarnung â abgelegt.
Als Mary Wollstonecraft hatte sie anfangs als Ãrztin gearbeitet, obwohl sie
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