Die falsche Frau
genommen
wurde.
Während ich mich bei Jan Garbareks verträumter Saxofonmusik
allmählich entspannte, versuchte ich, Klarheit in meinem Kopf zu schaffen. Was
hatten wir? Okay, die DNA-Spur, die war nicht von der Hand zu weisen. Oder
sollte Helena etwa getrickst haben bei dieser Briefmarke? Die Wohnung in der
Bergheimer StraÃe. Der Sprengstoff in dem Haus, in dem Prochnik und von
Arnstedt verbrannt waren. Eine unbekannte Frau mit Sonnenbrille, die Peter von
Arnstedt als seine Tante ausgegeben hatte. Ansonsten viele Vermutungen und
Behauptungen.
Konnten meine Leute Judith Landers trotz aller Mühen vielleicht nur
deshalb nicht finden, weil sie doch nicht in Heidelberg, sondern längst tot
war? War alles das Hirngespinst einer verrückt gewordenen BKA-Beamtin? Hatte
sie bei ihrer monotonen und kleinkrämerischen Beschäftigung mit dem Leben einer
ihr völlig Fremden über die Jahre den Bezug zur Realität verloren, den festen
Boden der Tatsachen verlassen?
Manchmal hatte sie einen getriebenen Eindruck auf mich gemacht. In
ihr brannte ein Feuer, eine Leidenschaft, als deren Ziel sie zu irgendeinem
Zeitpunkt ihres einsamen und vermutlich ziemlich freudlosen Lebens vielleicht
ausgerechnet Judith Landers gewählt hatte, die Terroristin aus Heidelberg.
Hatte sie andererseits nicht behauptet, es gebe Hinweise auf einen
bevorstehenden Anschlag aus dem Umfeld der italienischen Brigate Rosse? Das
sollte ich überprüfen lassen, morgen früh. Das hätte ich vielleicht gleich zu
Beginn tun sollen.
Die CD war zu Ende, wurde mir plötzlich bewusst, mein Glas leer. Ich
erhob mich, um es nachzufüllen und eine andere Musik auszusuchen. Die Zwillinge
waren kurz nach unserem Disput aufgebrochen, ohne mir mitzuteilen, wohin. Sie
seien sechzehn, lautete seit Neuestem die lapidare Antwort, wenn ich hin und
wieder nachzufragen wagte.
Als ich wieder auf der Couch saÃ, versuchte ich, noch einmal alle
sogenannten oder wirklichen Indizien durchzugehen. Aus der Ferne hörte ich seit
Minuten Martinshörner. Viele Martinshörner. Vermutlich wieder einmal eine
unangemeldete Demonstration. Dieses Mal hoffentlich ohne Mitwirkung meiner
Töchter.
Weshalb hatte Helena von dem Unfall nichts gewusst, bei dem Judith
Landers angeblich ums Leben gekommen war? Natürlich hatte sie es gewusst. Sie
hatte es mir verschwiegen, aus welchen Gründen auch immer. Was hatte sie mir
sonst noch verheimlicht?
Ich sah auf meine Armbanduhr, es war erst kurz nach zehn. DrauÃen
war ein milder Abend. Ich griff zum Telefon und wählte die Nummer von Klara
Vangelis.
Eine Dreiviertelstunde später stellte ich mein Rad vor dem
Haupteingang der Polizeidirektion ab. Ein rundlicher Endzwanziger erwartete
mich schon, den ich auf der StraÃe eher für einen Tankwart als für ein
Computergenie gehalten hätte. Wir schüttelten Hände. Er führte einen langen
griechischen Namen, den ich sofort wieder vergaÃ. Der Kollege an der Pforte
nickte uns schläfrig zu. Innen herrschten Geschrei und Unruhe. Durch den
Hintereingang wurden gerade einige mehr oder weniger stark blutende schwarz
Vermummte hereingeschleppt, die obszöne Beschimpfungen brüllten, während
entnervte Kollegen ihnen die Arme auf den Rücken drehten. Offenbar ging es
wieder einmal hoch her in der Stadt.
Einer der beiden Aufzüge stand offen. Wir fuhren nach oben, fanden
mein Büro leer und dunkel. Ich schaltete die Lampe auf Helenas Schreibtisch an.
Klara Vangelisâ Cousin klappte den billigen schwarzen Aktenkoffer auf, den er
mitgebracht hatte, und machte sich über Helenas Laptop her. Von drauÃen hörte
ich neues Gebrüll und Gekeife, Blaulicht zuckte über die Decke.
FünfunddreiÃig Minuten später war mein Büro wieder dunkel
und ich selbst auf dem Rückweg in die Weststadt. In meiner Hosentasche lag ein
Speicherstick mit Kopien vieler Dateien und Ordner von Helenas Computer sowie
einer fast gigabytegroÃen Archivdatei, die ihre sämtlichen E-Mails enthielt. Zu
Hause angekommen, fuhr ich meinen betagten PC hoch, kopierte alles auf die
Festplatte, holte mein Weinglas aus dem Wohnzimmer und begann zu lesen.
Es wurde eine lange Nacht.
Als irgendwann meine Zwillinge nach Hause kamen und mir verwundert
eine gute Nacht wünschten, sah ich kaum auf.
52
Am Freitagmorgen ging ich auf direktem Weg in das Büro,
das sich Sven Balke und Evaline Krauss derzeit mit zwei Kolleginnen vom
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