Die falsche Frau
medienwirksames Event, das es dank
Heidelberg und Schloss vielleicht sogar in die amerikanischen Abendnachrichten
schaffen würde. Ich hatte mich gerade halbwegs von meiner Verblüffung erholt,
und die aufgeregten Kinder standen endlich in Reih und Glied, da kamen sie
schon wieder heraus, eilten auf die wartenden Hubschrauber zu, die Turbinen,
die die ganze Zeit im Leerlauf gesummt hatten, liefen wieder hoch, die Fähnchen
der Kinder flatterten im Sturm, und dreiÃig Sekunden später war der Spuk
vorbei.
Die Männer, die den halben Tag damit zugebracht hatten, Absperrgitter
zu montieren und Verbotsschilder aufzustellen, begannen, alles wieder
wegzuräumen und auf Lastwagen zu laden, die plötzlich überall herumstanden,
ohne dass ich hätte sagen können, wo man sie zuvor versteckt hatte.
»Wir haben dich im Fernsehen gesehen!«, verkündeten meine
Töchter abends in einer Mischung aus ein klein wenig Stolz und sehr viel
Empörung. »Du hast ihm die Hand gegeben!«
»Andere Töchter würden sich was einbilden auf ihren Papa, wenn einer
der mächtigsten Männer der Welt ihm die Hand drückt.«
»Du hast ihn angegrinst!«, zischte Louise.
»Was sollte ich machen?«
»Ihm zum Beispiel deine Meinung sagen«, schlug Sarah vor. »Wäre doch
eine super Gelegenheit gewesen.«
»Muss ich mich jetzt dafür schämen, dass dieser Typ, der mir
übrigens genauso wenig sympathisch ist wie euch, mir die Hand gegeben hat? Das
war doch nur fürs Fernsehen, Herrgott. Das hat doch überhaupt nichts zu
bedeuten.«
»Du hast aber gar nicht ausgesehen, als könntest du ihn nicht
leiden«, giftete Louise.
»Du hättest ihm einfach eine reinhauen können«, meinte Sarah. »Wäre
voll der Knaller gewesen.«
»Der nächste Knaller wäre gewesen, dass wir in vier Wochen irgendwo
im hintersten Odenwald wohnen würden, ganz nah an der Grenze zu Bayern, und ich
den Verkehr auf der einzigen Kreuzung im Dorf regeln dürfte.«
Das hatte gesessen. Dann doch lieber amerikanische Minister und
Multimilliardäre angrinsen, als auf dem Land zu versauern.
»Das ist alles nicht so leicht, wie ihr euch das vorstellt, Mädels«,
setzte ich nach. »Hin und wieder muss man Kompromisse machen im Leben. Das
werdet ihr auch noch lernen. Man kann nicht immer so, wie man gerne möchte.«
Zu meiner Erleichterung trillerte das Familientelefon, ausnahmsweise
sogar dort, wo es hingehörte: auf dem Schuhschränkchen. Es war Sönnchen.
»Herr Gerlach, entschuldigen Sie, dass ich Sie am Abend belästige.
Aber ich hab gedacht, es interessiert Sie vielleicht. Frau Guballa hat nämlich
tatsächlich Urlaub. Ich hab am Nachmittag, während Sie auf dem Schloss waren
und diesem Amerikaner fast um den Hals gefallen sind, ein bisschen rumtelefoniert.«
Ich ging in die Küche, um den Zwillingen klarzumachen, dass das
Gespräch sie nichts anging. Natürlich folgten sie mir.
»Ich hatte Sie doch ausdrücklich gebeten â¦Â«
»Sie haben es mir aber nicht ausdrücklich verboten.«
»Und sie hat also wirklich Urlaub?«
»Seit sechs Wochen schon. Und es ist auch kein normaler Urlaub, hat
man durchblicken lassen.«
»Was muss man sich denn unter einem unnormalen Urlaub vorstellen?«,
fragte ich unfreundlich und setzte mich.
»Sie haben sie praktisch heimschicken müssen. Sie soll vorher ein
bisschen ⦠na ja, so eine Art Nervenzusammenbruch gehabt haben.«
»Sie hat aber doch diesen Schrieb dabeigehabt â¦Â«
»Diese Unterschriften sind doch alle bloà Krakel. Soll ich das Ding
sicherheitshalber nach Wiesbaden faxen?«
»Erst mal nicht«, erwiderte ich zögernd. »Frau Guballa ist
wahrscheinlich von einer fixen Idee getrieben. Und bisher hat sie ja keinen
Schaden angerichtet. Eher im Gegenteil.«
Hatte Helena wirklich keinen Schaden angerichtet?, fragte ich mich
selbst, als ich den roten Knopf drückte und das Telefon auf den Küchentisch
legte.
»Du hast gesagt, man muss es immer aufs Schuhschränkchen tun«, wies
Louise mich zurecht.
51
Alles konnte nur ein Irrtum sein, überlegte ich, als ich
später bei einem Glas Rotwein im Wohnzimmer saà und ruhige Musik hörte. Ich
hatte mich von Helena verrückt machen lassen, von einer Frau, die sich verrannt
hatte und von ihren Kolleginnen und Kollegen längst nicht mehr ernst
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