Die falsche Frau
Bekleidungszuschuss, wusste ich.
»Ach, diese Zielfahnder«, erwiderte er abwesend. »Die sind doch alle
ein bisschen gaga.«
Auch die Lehrerin hatte jetzt den Ernst der Lage begriffen und raste
los, um ihre Kinder wieder einzufangen und in Stellung zu bringen.
Das Geräusch der Hubschrauber wurde ohrenbetäubend, Schatten
huschten über uns hinweg, und schon sanken die zwei olivgrünen Maschinen
absolut parallel und überraschend flott auf die gepflegten Wiesen.
»Ich finde sie ziemlich tüchtig«, rief ich gegen den Lärm an.
»Man muss ein verschrobenes Gemüt haben, dieses jahrelange â¦Â«
Der Rest seiner Antwort ging unter. Staub wirbelte auf, Röcke in
gedeckten Farben flatterten albern, teure SakkoschöÃe wehten, die wenigen, die
Hüte trugen, hielten sie rechtzeitig fest oder liefen hinter ihnen her. Die
Lehrerin war nicht mehr zu sehen. Das Brausen der Turbinen erstarb, die
Kopfbedeckungen konnten wieder losgelassen werden, die Türen öffneten sich.
Ron Henderson stieg als Erster aus, gefolgt von unserem Minister. Er
kam mir noch kleiner vor, als ich ihn vom Vorabend in Erinnerung hatte. Aber
das lag vermutlich an den riesigen Hubschraubern im Hintergrund. Er sah sich
um, als würde er sein lange nicht mehr besuchtes Eigentum inspizieren, und dann
kam er geradewegs auf mich zugeschossen, reichte mir freudestrahlend die Hand.
»Nice to meet you, Mister â¦Â« Für eine halbe Sekunde wurden seine
Augen zu Schlitzen, dann hatte er meinen Namen entziffert. »Mister Görlach.
Whatâs your job at this wonderful place?«
Gefühlte zehntausend Blitzlichter zuckten, ungezählte Fernsehkameras
nahmen mich aufs Korn. Ich fand in der Aufregung nicht den richtigen englischen
Begriff für meine Funktion. Von Lüdewitz half gnädig aus: »Mister Gerlach ist
head of the Heidelberg criminal investigation department.«
»Really?«, strahlte Henderson, der meine Hand immer noch festhielt.
»Heidelbörg is a charming little town, isnât it?«
Der Mann reichte mir kaum bis zu den Brustwarzen, weshalb er zu mir
aufsehen musste, was mir ein kleines, gemeines Vergnügen bescherte. Er roch
nach einem unbezahlbaren Herrenparfüm und drückte meine Hand, als wollte er das
letzte bisschen Saft herausquetschen. Sein Lächeln war zu meiner Ãberraschung
warm und offen. Sosehr ich mich auch bemühte: Ich fand nichts Fieses darin.
Jetzt erst wurde mir bewusst, dass ich tapfer zurücklächelte.
»Yes, it is«, hörte ich mich stammeln.
»All die Americans lieben Heidelbörg, you know? Ganz besonders
mich.«
»Ich weiÃ. I know.«
»Ich studieren hier. Viele, viele years ago. Aber die wundervolle
Schloss â¦Â« Er wies mit groÃer Geste um sich, und wieder wirkte er, als wäre er
hier der Gutsherr. »Immer noch dieselbe wundervolle Platz.«
Ein letztes strahlendes Lächeln, der Händedruck wurde für einen
Augenblick schmerzhaft. Dann war dieser Teil des Staatsbesuchs erledigt, das
Lächeln ausgeknipst, meine Hand wieder frei, und die Kameras wandten sich
wichtigeren Dingen zu. Hatte es mich durch Zufall getroffen, oder war ich Teil
irgendeiner Art von Inszenierung gewesen? Auf mich hatte das Ganze gewirkt, als
hätte Henderson einfach nach dem Menschen Ausschau gehalten, der ihm am
sympathischsten war.
So sah also einer aus, der so viel Geld besaÃ, dass er sich halb
Heidelberg samt Schloss hätte kaufen können. Der am helllichten Tag betrunken
Babys totfuhr, ohne dafür bestraft zu werden. Inzwischen waren die Politiker
und ihr Gefolge schon über die Brücke und durch den Torturm im Schlosshof
verschwunden, um dort das GroÃe Fass und das Standbild des sagenumwobenen Hofnarren
Perkeo zu bewundern. Von dort ging es weiter zum Friedrichsbau, wo eine kleine
Weinverkostung stattfinden würde, die bei Hendersons Tempo vermutlich nach fünf
Minuten abgehakt sein würde. Endlich wurde mir klar, was eben geschehen war: Ich
war der Einzige hier, der keinen dunklen Anzug trug. Der Mann aus dem Volk. Die
Kinder, denen man fotogen hätte übers Haar streichen können, waren ja leider
nicht rechtzeitig auf ihren Posten gewesen. Soeben kamen sie im Schweinsgalopp
um die Ecke, um den Ministern mit ihren Fähnchen hinterherzuwinken.
Längst war mir klar geworden, dass es hier nicht um das Vergnügen
der Politiker ging, sondern um ein
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