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Die falsche Herrin

Die falsche Herrin

Titel: Die falsche Herrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margrit Schriber
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aus dem Handteller in jede Richtung knipsen. Und – soll ich, soll ich nicht – es dir noch einmal überlegen. Gehst du links? Gehst du rechts? Kehrst du zurück? Oder eilst du geradeaus? Der Gotthard ist der Scheitelpunkt. Auch für dich, Mädchen. Dort entscheidet sich dein Leben.»
    Im Sommer. Hat der Jäger gesagt.
    Doch Anna Maria hat nicht gewartet. Sie will zum Scheitelpunkt, jetzt gleich.
    Im Schneeregen sei sie mit dem ordinäri Wollhut durchs Muotatal gehastet. Die Bitzenin habe man gleich erkannt. Ihr schlechter Ruf verbreitete sich wie ein Brand bei Föhn.
    «Die Muota kam hoch», berichtet Baschi, der Älpler. «Von den Bergen rundum donnerten Rufinen. Wir lagen in der Agathakirche auf Knien und hörten das Klatschen der Schuhe von dieser flüchtigen Person. Als wäre der Teufel hinter ihr her. Diese Verrückte stapfte gegen die Regenstacheln ins Dorf herein, aus dem Dorf hinaus, den Hut tief im Gesicht und ein Ranzli aus Fell auf dem Rücken. Sie arbeitete sich zur Waldgrenze hinauf, immer wieder einsinkend, sich aufrappelnd und weiterschwankend.»
    Baschi sah sie als Letzter. Dachte bei sich: «Vielleicht will sie dort oben Munggen ausgraben.» Tannen knickten unter der Schneelast. «Und dieses Mädchen: als säusle ein laues Lüftchen.» Es riss ein Holzbrett von einem Gaden, brach es an der Felsscharte entzwei, zog einige Schnüre aus seinem Haar und band die Brettchen unter die Holzschuhe. Ohne Blick zu den Eisbärten, die über ihm an der Felswand hingen und tropften und von Zeit zu Zeit eine Spitze verloren, die dann klirrend neben dem Mädchen zerschellte.
    «Dort geht es», wie Baschi sich ausdrückt, «ordäli bas ufä.» Es glitt auf seinen Brettchen hinauf. Am Ende sah er es nur noch als dunklen Punkt, der sich im Zickzack zum Fels hinaufschob. Dem Verderben zu.
     
     
    Das Land Schwyz hört nichts mehr von ihr.
    Es taucht nach der Schneeschmelze auch keine Leiche auf. Doch das ist nicht verwunderlich – im Karrenfeld verschwinden manche für immer.
    Als der Pass schneefrei ist und die Sennen das Vieh auf ihre Allmeind treiben, da steht die Tür von Baschis Balme offen. Im Triil hat jemand geschlafen, obwohl keine Streue, keine Lilachen und keine Decken vorhanden sind. Nur das Nischtheu ist eingedrückt in Form einer Muschel. Baschi glaubt, es war das Mädchen.
    «So kugelt sich nur ein schutzsuchendes Kind. Muss mit letzter Kraft die Balme erreicht, sich ins Nischtheu geworfen, die Fäuste unters Kinn geballt und eingekrümmt geschlafen haben.»
    Die Balme bietet Schutz vor Steinschlag, Schnee und Wasser. Es war im März beißend kalt. Im Feuerloch stand der Kessel. Ein Büschel Kräuter schwamm im Wasser. Einige Kienhölzer lagen im Feuerloch. Das Mädchen hat sie aber wohl nicht erzündlen können. Keine Gluße Wärme hat sie gehabt. Und im leeren Vorratsschrank fand sie weder ein Ei noch eine armselige Schwarte oder ein altes Stück Brot. Da es der Unseligen nicht gelang, Tee zu kochen, war ihr Aufenthalt in Baschis Balme sicher von kurzer Dauer.
     
     
    Das Land Uri wird im April 1722 von Geistern heimgesucht. Eine Hexe melkt Ziegen. Selbst die Kühe hinter den Weidenzäunen haben leichte Euter. Eingemachtes verschwindet aus Vorratsschränken. Eier, kaum sind sie gelegt, lösen sich unter dem Bauch der Hennen in Luft auf. Manch ein Bewohner wird geweckt von einem Geräusch. Die Mutigen schleichen mit einer Kerze in die Küche. Diese finden sie leer, Fenster und Türen verschlossen. Nur der Schinken im Rauchfang pendelt noch. Irgendetwas dringt in die Häuser ein, tut sich gütlich am Brot, Brei und am Eingemachten. Dann verschwindet es ohne eine Spur.
    «Es geht nicht mit rechten Dingen zu.»
    Die ersten Klagen über diesen Dämon kommen aus dem unteren Reußtal, dann mit zunehmendem Tauwetter dehnen die Klagen sich bis ins Gebiet des Gotthards aus. Der Geist trollt sich gemächlich von Ort zu Ort, bis zu den letzten Schneeflecken hinauf. Mönche pilgern durchs Land und segnen die Häuser. Danach verschwindet der Spuk.
     
     
    Auf dem Gotthard heult der Wind.
    «So heulte Joannes, als Anna Maria das Geld aus seinem Kasten genommen hat. Er stand mit offenem Hosenlatz da. Heulend, tobend. Er tat wie am Muotiseil.»
    Seine Waschfrauen haben Tränen in ihre Schürzen gelacht.
    Mit Viertelumdrehungen wendet sich die Bitzenin den vier Reichen zu.
    «Wo liegt jetzt das Paradies?»
    Im Süden ist es grün. Die Berge lösen sich auf. Über der Ferne liegt ein blauer Hauch, zart wie die

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