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Die falsche Herrin

Die falsche Herrin

Titel: Die falsche Herrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margrit Schriber
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schlurfte er mit klappernden Holzschuhen an den Männern vorüber. Als er die Weid erreichte, gab einer von ihnen einen Büchsenschuss in die Luft. «Befehl ist Befehl», schrie er zum Gatter. «Und ein Sauhund ist ein Sauhund!» Und der andere rief: «Es kümmert sich einer um die mutterlose Kleine.»
    Da blieb der Vater stehen, schüttelte den Kopf. Nach einer Weile kehrte er zum Gaden zurück. Er kniete sich vor sie hin, um ihr ein Kreuz auf die Stirn zu malen.
    Das ist das Letzte, woran Anna Maria sich erinnert. An dieses Kreuz auf ihrer Stirn. Und dass sie danach allein war. Gott-Seelen-allein.
    Sie drückt den Wollhut fest aufs Haar, stellt die Füße aufeinander und hält ihr Ranzli. Sie beginnt sich zu wiegen und zu singen, wie als Kind. Ihre Melodie hat keine Höhen und Tiefen. Sie ist langgezogen und traurig, ein Lied für den Tod. Für ein Ross, das keine Weiden mehr sieht. Das ins Getümmel getrieben wurde, um abgeschlachtet zu werden. Und das langsam unter Anna Maria erkaltet.
    Irgendwann schläft sie über dem Singsang ein.
    Da greift einer nach dem Ranzli. Und fängt die Hand, die sich zum Schlag erhebt.
    «Du verpasst das Halleluja, Mädchen!»
    Die zwei Augen der Feder schauen sie an.
     
     
    «Die Kleine verzaubert die Männer», erzählen die Wäscherinnen. «Den Joannes hat sie verrückt gemacht. In ihrem Mieder wölbt sich, was gefällt. Die Augen blitzen, breite weiße Zähne hat sie im Mund. Der Gang hat etwas Stolzes. Sie geht kerzengerade wie die Redingin. Sie trägt den Kopf auf die gleiche Art. Wie eine Blume, die sich auf dem langen Hals der Sonne zudreht.»
    «Aber sie ist nicht leicht zu verstehen. Sie sprudelt los, und im nächsten Augenblick verfällt sie ins Grübeln. Dann wieder schäumt sie über vor Freude und schleudert ihr Haar mal über die eine Schulter, mal über die andere.»
    «Der See ist ihr Spiegel. Da übt sie ihr schönes Lächeln, ihren Schelmenblick. Sie kämmt sich mit den Fingern durchs Haar, zwirbelt Locken, lässt sie aufspringen und nach vorn übers Gesicht fallen, um es in einer breit ausfächernden Flut in den Nacken zu schütteln. Endlos, meint man. Als schüttle sie alles heraus, um neu zu beginnen, als eine andere.»
    Die Waschfrauen erinnern sich.
    «Der See zeigt der Bitzenin das verschlossene und traurige Gesicht. Sie neigt sich auf die Wasserfläche und schürft mit ihrem Atem das Spiegelbild zu Bruch. Danach federt sie davon. Auch das ist sie, die Bitzenin. Ihren Muotataler Dialekt hat sie nie verloren. Sie singt, wenn sie spricht. Sie zieht die Laute in die Höhe und in die Tiefe, wie es im Tal üblich ist. Wir bekamen nie genug, sie reden zu hören. Das muss dem Einen besonders gefallen.»
    Sein Name ist Magnus Weber. Er ist fünfundzwanzig Jahre alt. Er hat Asien bereist. Viel gesehen, viel erlebt. Soldat möchte Magnus nie im Leben sein. Die Soldaten kämpfen und sterben, weil sie einem König oder Papst einen Schwur geleistet haben. Er hat nur sich selbst einen Schwur geleistet.
    Jetzt will er auf der alten Seidenstraße über Samarkand zur großen Mauer und von dort nach Peking ziehen. Diesmal in einer Mission: Die europäischen Händler suchen nach einem sicheren Landweg zum kaiserlichen Hof in China. Denn auf dem Seeweg überfallen holländische Piraten die Schiffe der Katholiken und plündern sie aus. Auf seiner Reise will er eine persische, arabische oder tatarische Sprache erlernen. Vielleicht ist in der Geschichte der Entdecker auch noch für ihn eine Zeile Platz auf dem Pergament.
    Unterwegs trifft er nun Anna Maria. Sein Tändeln würde den Auftraggebern nicht gefallen. «Statt Fersengeld zu geben, sitzt unser Mann auf einem Schlachtross inmitten von Toten und karisiert.»
    In seiner deutschen Heimat hat er keine Zukunft. So wenig wie die Eltern und Großeltern jemals eine Zukunft hatten. Auch seine Kinder würden nie eine Zukunft haben. Rothgärber sind Randständige. Sie müssen auch Felle von Hunden und Katzen verarbeiten, und wer Aas berührt, gilt als unehrlich. Er darf nicht jagen, nicht fischen, nicht Gäste haben. Darf auch die Schule nicht besuchen.
    Wie kommt es, dass er so viel weiß?
    Ein Jesuit hat ihm heimlich Unterricht erteilt. Er liest lateinische Bücher ebenso leicht wie deutsche.
    Auf dem Schenkel des erkalteten Rosses lehnt Anna Maria am Rücken des Chinareisenden, die Hände um die Knie geschlungen. Sie schaukelt. Inmitten von Toten, die mit ihren klaffenden Wunden und verrenkten Gliedern wie kaputte Puppen

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