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Die Falsche Tote

Titel: Die Falsche Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
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starr auf sie gerichtet und funkelten. Anzeichen, dass er eine Ausrede vorbereitete, fand sie beim besten Willen nicht. Sie wandte den Blick ab und sah sich im Zimmer um.
    »Wie lange wohnst du schon hier?«
    »Seit einem Jahr. Ich bin erst am Abend angekommen. Ich musste trampen, habe aber keinen gefunden, der direkt nach Stockholm wollte. Ich bin den ganzen Tag in der Sonne und im Regen gestanden.«
    »Du wirst bald einundzwanzig.«
    Seine Mundwinkel zuckten. Das hieß ja.
    »Du hast das musische Gymnasium besucht, dann das Musikstudium abgebrochen und bist von zu Hause ausgezogen. Hierher?«
    Er nickte.
    »Was tust du jetzt?« Sie kannte die ganze Geschichte schon aus der Sicht seines Vaters. Oskar war Pianist, und er war wohl gut.
    »Jazz.«
    »Wo?«
    »Bars. Das übliche Jazzleben eben. Akkorde und geheuchelte Texte.«
    »Du hast dich also dafür entschieden, deinen Vater mit vorsätzlicher Ziellosigkeit zu beleidigen.«
    »Es war meine Antwort auf vorsätzliche Verständnislosigkeit. Sagt dir das was?«
    »Du unterschätzt deinen Vater.«
    Oskar lächelte amüsiert und strich sich über den Nacken. »Nur weil Jossan nicht orientierungslos ist, dürfen wir beide es in unserem Alter doch wohl sein, oder?«
    Er hatte wirklich ›wir‹ gesagt. Barbro nippte mehrmals an ihrer Tasse, sie musste nachdenken.
    »In deine Wohnung ist eingebrochen worden, hast du das bemerkt?«
    Oskar schüttelte den Kopf und blickte sich um.
    »Deine Wohnungstür stand offen.«
    Er stand mit einem Ruck auf und stellte die Tasse auf dem Boden ab. Er ging direkt zum Kleiderschrank und nahm sich den Bademantel, der außen an einem Nagel hing. Nach einer kurzen Runde durch die Räume kehrte er mit ernstem Gesicht zurück und schüttelte wieder den Kopf. »Es war vorher schon so unordentlich. So ist es nicht immer. Ich bin nur übereilt aufgebrochen.«
    »Und die Tür?«
    Er zuckte mit den Achseln. »Die war verschlossen.«
    »Abgeschlossen?«
    »Weiß ich nicht. Ich kann es nicht sicher sagen, aber auf keinen Fall stand sie offen. Vielleicht Jossan.«
    »Jossan hat einen Schlüssel?«
    »Natürlich, und ich von ihr.« Oskar ging hinüber zum Küchenschrank und wühlte in einer Schublade und dann in der nächsten. Barbro ging zu ihm.
    »Nein«, sagte er. »Er war da. Er lag dort, seit sie in ihre Wohnung eingezogen ist.« Oskar wirkte jetzt klar und ernsthaft. »Und sie hat einen von mir.«
    Sie hatten alle Schlüssel aus Josefins Wohnung ausprobiert. Keiner hatte in Oskars Türschloss gepasst.

26
    Astrid Svärd reichte Sofi das von Kreide steife Handtuch, das neben dem Waschbecken gehangen hatte. Nachdem sie den ganzen Morgen durch die Stadt gefahren war, hatte sich der Himmel immer mehr verdunkelt und die letzten dreihundert Meter zwischen U-Bahn-Station ›Universität‹ und dem Wallenberglaboratorium abgewartet, um Sofi mit einem Sturzregen innerhalb von Sekunden zu durchnässen. Vorsichtig drückte Sofi mit dem Handtuch die Nässe aus ihren Haarspitzen. Für ihr Gesicht nahm sie lieber ihre Hände, so schimmlig, wie das Handtuch roch. Auf dem Boden hatte sich eine Pfütze gebildet. Aus den Augenwinkeln nahm sie die nervösen Bewegungen der Dozentin war, die in ihren Gesten einem jungen Mädchen auf dem Höhepunkt der pubertären Unsicherheit glich. Dabei war Astrid bald zehn Jahre älter als Sofi. Die Säpo hatte ganze zwei Tage benötigt, um die Dozentin zu überprüfen. Astrid war seit drei Jahren als Forscherin und Dozentin am Institut für antike Kultur und Gesellschaft angestellt. Im letzten Winter hatte sie einen Professor in Uppsala vertreten, der bei seinem alljährlichen Spaziergang im Dunkel des Neujahrsmorgens im Botanischen Garten mit einem Schneeräumfahrzeug kollidiert war. Vor und nach dieser Periode hatte Josefin im ersten und dritten Semester je ein Seminar bei Astrid Svärd belegt. Sie war vor allem für die Studienanfänger zuständig. Unter dem Punkt ›Gefahrenpotential‹ führte der Bericht der Säpo nur auf, dass Astrid lesbisch war.
    Vor dem Fenster beugte der Regen die Zweige der hohen Fichten. In der Ferne ragte das Dach der Wissenschaftsakademie aus den Baumkronen. Der Regen rauschte so, dass sie etwas lauter sprechen mussten, was Astrids Stimme ein wenig ins Schwanken brachte. Offensichtlich widersprach es Astrids Natur, die Stimme zu heben. Sie hantierte an dem Waschbecken neben der Tür und setzte sich schließlich mit zwei Tassen Tee an ihren Schreibtisch. Jenseits des Tisches saß Sofi auf dem

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