Die Falsche Tote
Studentenstuhl und hatte Mühe, nicht an ihre nasse Unterhose zu denken. Sie zog ihren Notizblock aus der Tasche, in der zum Glück alles trocken geblieben war.
Dass Josefin Rosenfeldt die Tochter des Justizkanzlers war, dessen Name einem in den Zeitungen und im Fernsehen dauernd begegnete, wusste Astrid Svärd nicht. Vielleicht würde Astrid später ein wenig grübeln, warum die Reichskriminalpolizei sich für Josefin und ihre Seminararbeit interessierte. Das konnte Sofi nicht verhindern. Am Telefon hatte sie bereits erklärt, dass sie Astrid den Grund des Gesprächs nicht verraten durfte.
Zuerst begann Sofi, ihre Informationen mit Astrids Akte über Josefin zu vergleichen. Das Seminar im ersten Semester konnte sie abhaken, alle Studenten besuchten es und schlossen mit einer Klausur ab. Das aktuelle Semester war viel interessanter. In Josefins Zimmer hatte Sofi Ausdrucke einzelner Seiten der Seminararbeit gefunden, doch ließ sich daraus nicht viel rekonstruieren. Die einzig vollständige Fassung lag vor Astrid auf dem Tisch.
»Kannst du mir etwas über Josefin Rosenfeldt erzählen?«, fragte Sofi. »Wie war sie so?«
Astrid rückte die Arbeit einen Zentimeter in Richtung Sofi. Das sollte wohl bedeuten, dass sie sich nur grob an Josefins Aussehen erinnern konnte.
»Hast du die Arbeit schon korrigiert?«
»Schon vor einigen Wochen. Bevor du gekommen bist, habe ich sie noch einmal durchgeblättert. Josefin war früh fertig damit. Wenn ich mich richtig erinnere, hat sie sie bereits bei ihrem Referat ganz zu Beginn des Semesters abgegeben. Das gibt es selten.«
»Dann kannst du ja doch viel über sie sagen.«
Astrid lächelte vorsichtig. Sofi ging auf, dass Astrid dem Besuch der Reichskriminalpolizei entgegengebibbert haben könnte, und nun war sie zudem noch damit überrascht worden, dass eine junge Frau hereinkam, die zugleich aussah wie eine ihrer Studentinnen und Patrick Duffy in ›Der Mann aus dem Meer‹. Sofi mochte nicht, wenn ihre Haare nass waren und die Kopfhaut juckte.
Auf einmal hörte der Regen draußen von einer Sekunde zur nächsten auf. Die Frauen sahen beide zum Fenster. Sofi bat Astrid, ihr zu erklären, worum es in der Arbeit ging. Astrid stimmte auch zu, dass Sofi das Gespräch aufzeichnete, weil sie bestimmt nicht alles kapieren und behalten würde.
»Es kommt wirklich auf jedes Detail an«, sagte Sofi und drückte auf den Aufnahmeknopf.
Das brachte Astrid wieder zum Lächeln. Etwas von ihrer Hut vor anderen Menschen fiel von ihr ab. Bei ihren Erklärungen hangelte sie sich trotzdem am Inhaltsverzeichnis entlang.
Im alten Athen hatte es zahlreiche Gerichtshöfe gegeben. Josefin hatte sich nur mit solchen beschäftigt, die über Tötungsdelikte zu urteilen hatten. Ein Gerichtsort namens Palladion hatte sich auf tödliche Sportunfälle und fahrlässige Tötungen spezialisiert. Am Delphinion, dem Apoll-Tempel in Delphi, mussten sich all jene verantworten, die einen Menschen mit Absicht getötet hatten. Allerdings musste diese Tötung gerecht sein. Athener durften zum Beispiel Betrüger und Taschendiebe töten, wenn sie sie in flagranti erwischten. Als Astrid vom Phraetto erzählte, einem Ort an der Küste, wo Exilanten in einem nahe am Strand schwimmenden Boot standen, weil sie attischen Boden nicht betreten durften, schweiften Sofis Gedanken kurz zu Tobbe ab, zu dem sie als Dreizehnjährige an einem Sommerabend gerudert war, um ihm am Steg ihre Liebe zu gestehen, bevor sie ganz davon verzehrt würde. Das war sicher eine der blödesten Ideen gewesen, die sie je gehabt hatte. Es dauert nämlich sehr lange, bis man aus den Augen desjenigen weggerudert ist, der flachbrüstige Zigeunermädchen eklig findet, und zwar genau sieben Minuten und achtzehn Sekunden.
Vor allem aber hatte Josefin sich mit dem Areopag beschäftigt, der sich nicht mit Kleinigkeiten aufhielt, sondern richtige Mordfälle untersuchte. Sein Urteil war die Todesstrafe. In den antiken Tragödien und in der Mythologie war der Areopag, der Hügel des Ares, ein beliebter Handlungsort. Die Erinnyen hatten dort den Orest angeklagt, weil er seine Mutter Klytaimnestra für den Mord an ihrem Mann Agamemnon getötet hatte. Orest war von den drei Rachegöttinnen dorthin zu Athene geflohen. Athene sprach Orest frei, weil Klytaimnestra schließlich einen Mann getötet hatte und Orest nur eine Frau. Der Mord an der Mutter sei Orest zudem von Apoll selbst befohlen worden.
»Hätte die Verhandlung dann nicht am Delphinion stattfinden
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