Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Falsche Tote

Titel: Die Falsche Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
Vom Netzwerk:
müssen?«, wollte Sofi von Astrid wissen.
    Astrid lächelte erfreut. »In jedem Fall gilt diese Geschichte als Gründungsmythos des Areopags als Gericht. Das ist eigentlich das Wichtige daran.«
    »Und dann? Orest wurde also freigesprochen?«
    »Die Erinnyen waren mit diesem Urteil nicht zufrieden und verfolgten Orest.«
    Sofi richtete sich alarmiert auf. »Darüber hat Josefin geschrieben?«
    Astrid reichte ihr die Arbeit. Sofi blätterte sie durch. Sie umfasste nur dreiundzwanzig Seiten.
    »Sie hat sich vor allem mit dem historischen und mythischen Ursprung beschäftigt. Nirgendwo geht sie weiter als bis zur Zeit des Ephialtes.«
    Sofi sah Astrid erwartend an und notierte sich in Gedanken, dass sie Effialtes später nachschlagen musste.
    »Mich hat gefreut, dass sie sich mit Details beschäftigt hat, die sonst alle übergehen«, fügte Astrid zögernd hinzu. »Die Geschichte mit Orest findet sich in der Orestie, einer Tragöden-Trilogie von Aischylos. Im dritten Stück, den Eumeniden, spricht Athene also ihr Urteil und zugleich sagt sie dort, dass der Hügel der Amazonen von nun an eine ständige Einrichtung sein soll.«
    Astrid bemerkte, dass Sofi beim Mitschreiben ins Stocken geriet, und buchstabierte das Wort Eumeniden. »Eumenes bedeutet ›wohlgesinnt‹. Ein Euphemismus für die Erinnyen.«
    »Aha«, schnaufte Sofi beim Kritzeln. »Und warum Hügel der Amazonen? Ich dachte, es ist der Hügel des Ares.«
    »Athene spricht von den Amazonen. Josefin ist dieser Frage nachgegangen, aber es bleibt ziemlich dunkel.«
    Sofi angelte sich ihre Tasche vom Boden und zog ihren Computer heraus. Er war so schön klein, dass es jeden in Erstaunen versetzte, wenn Sofi das tat.
    »Es gibt noch einen älteren Mythos. Demnach hat Poseidon den Gott Ares angeklagt, weil er dessen Sohn getötet hatte als Rache für eine Vergewaltigung an dessen Tochter.«
    »Der Tochter des Ares?«
    »Mmm, Alkippe heißt sie.«
    »Ares ist der Kriegsgott und Poseidon der Meeresgott, ja?«
    »Äh, nein, das liest man so überall, aber stimmen tut es nicht. Poseidon ist nicht das Wasser, er ist die Kraft, die das Wasser bewegt, aber auch das Land, Poseidon kann auch Erdbeben auslösen. Jedenfalls ist er nicht mit Neptun identisch. Er lässt zusammenstürzen, was falsch und frevelhaft ist. Das ist seine Rolle. Es gibt dagegen richtige Wassergötter wie Nereus.«
    »Ist das nicht der, der einem die Wahrheit sagen muss, wenn man ihm eine Frage stellt?«
    »Ja«, antwortete Astrid.
    So wie Tobbe, dachte Sofi. Der war auch ein Nereus gewesen. Endlich war der Computer hochgefahren. Sie öffnete die Bilddatei und zeigte Astrid das Poster aus Josefins Zimmer. »Hast du das schon einmal gesehen?«
    Das Betrachten des Bildes bereitete Astrid Vergnügen. Sie schüttelte jedoch den Kopf.
    Satan auch, dachte Sofi. »Sagen dir Aisakos und Hesperia etwas?«
    »Eine Liebesgeschichte.«
    »Darin geht es doch auch um den Tod. Aisakos verliebt sich in die Nymphe Hesperia und will ihr seine Liebe gestehen. Sie flieht vor ihm, und auf der Flucht stirbt sie durch den Biss einer Schlange. Aisakos stürzt sich vor Kummer ins Meer.«
    »Aber mit dem Areopag hat es nichts zu tun.« Astrid verstummte für einen Moment und biss sich auf die Unterlippe. »Es ist natürlich der Biss des Gewissens, der Aisakos in den Tod treibt. Personifiziert sind Gewissensbisse die Erinnyen. Das wäre eine Verbindung, aber ausdrücklich ist sie nicht. Es ist auch keine sehr gehaltvolle Geschichte.«
    »Wann sind Liebesgeschichten das schon!« Sofi klappte ihren Laptop zusammen und stopfte alles, was sie im Laufe des Gesprächs auf der Tischplatte verteilt hatte, wieder in ihre Tasche. Sie stand abrupt auf. »Ich muss gehen. Vielen Dank.«
    »Die Arbeit kannst du gern mitnehmen.«
    Erst an der Tür fiel es ihr ein. »Kann Josefin eigentlich Griechisch?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Kannst du das aus der Arbeit nicht ablesen?«
    »Nein, alle Zitate sind auf Englisch. Wir arbeiten nur mit Übersetzungen. An einem Kurs hat sie jedenfalls nicht teilgenommen.«
    Sofi kehrte nicht sogleich zur U-Bahn zurück. Erst musste sie nachdenken. Um das Haus herum führte ein Weg zum Wasser. Die Oberfläche war aufgewühlt. Deshalb dachte Sofi an Poseidon und ein allerletztes Mal an Tobbe. War da wirklich eine Verbindung? Eine feministische Verbindung, eine Tote, eine Verschwundene, deren Vater einer der höchsten Vertreter der schwedischen Gerichtsbarkeit war? Sofi dachte an die türkische Familie, als sie

Weitere Kostenlose Bücher