Die Falsche Tote
sie so hübsch ist, wie du behauptest, kennt Oskar sie bestimmt.«
An Oskars Siegergrinsen begriff sie, wie dumm der Kommentar gewesen war. Er schlug bestätigt sein linkes Bein über das rechte. Linda sah irritiert von einem zum anderen.
»Das glaube ich nicht«, unterbrach sie ahnungslos das Blickgefecht. »Sie ist militante Feministin. So wie du.«
Oskar bekam einen Lachanfall.
»Gut«, sagte Barbro. »Dann fahren wir.«
»Echt?«, fragte Linda.
Ja, dachte Barbro. Nichts wie raus hier. »Kannst du warten?«, fragte sie Oskar. »Meine Tochter schläft.«
Oskar nickte und fragte, ob er sich einen Kaffee machen dürfe.
Linda kurbelte die Scheibe herunter, um sich die Nachtluft ins Gesicht wehen zu lassen. Warum Barbro gleich eingewilligt hatte, verstand sie immer noch nicht. Hinter dem World Trade Center deutete sie auf die Häuser am gegenüberliegenden Ufer.
»Da ist es! Das zweite Haus.«
Nach der Brücke folgte Barbro der Kungsholmsgatan und drosselte die Geschwindigkeit. Parkplätze gab es hier keine, deshalb fuhr sie auf den Gehsteig, parkte den Wagen mit der Kühlerhaube im Wartehäuschen der Bushaltestelle und legte ihr Polizeischild auf das Armaturenbrett.
Linda führte sie zu der schmalen Treppe, die von der erhöhten Straße seitlich vom Haus hinabführte. Der Eingang lag unten in einem tiefer liegenden Zwischenhof. Sie gab den Zifferncode ein und drückte gegen die Tür.
Oben legte Barbro ihr Ohr an Amelies Wohnungstür und verharrte eine Minute lang in dieser Position. Dann klopfte sie sachte. Die beiden sahen sich an. Barbro klingelte. Natürlich öffnete Amelie nicht. Linda war ja schon mehrmals hier gewesen und hatte geklingelt und gewartet. Barbro horchte an der Nachbartür und drückte mehrmals die Klingel, bis endlich ein Mann mit weißen Locken und Halskorsage die Tür öffnete.
»Entschuldige, dass wir stören«, flüsterte Barbro und hielt dem Mann ihren Ausweis unter die Nase. »Wir sind auf der Suche nach Amelie Heidvall. Hast du sie in den letzten Tagen gesehen?«
Mit einiger Verzögerung verneinte der Mann mit heiserer Stimme. Dann musste er husten.
»Seid ihr näher bekannt?«
»Sie grüßt nicht. Wir begegnen uns kaum.«
»Sie ist seit drei Tagen nicht mehr gesehen worden. Hast du vielleicht Geräusche aus ihrer Wohnung gehört?«
Der Fernseher drang so laut aus der Wohnung, dass es Barbro und Linda nicht überraschte, dass der Mann wieder verneinte. Barbro bedankte sich. Nachdem der Nachbar die Tür geschlossen hatte, standen sie etwas unschlüssig im Flur.
»Wir müssen unbedingt nachsehen«, fand Linda. »Wir waren fest verabredet, vielleicht liegt sie da drinnen.«
»Das darf ich nicht, Linda.«
»Doch«, erwiderte Linda und nickte eifrig. »Du darfst, das weiß ich von Papa.«
Barbro stöhnte. Dann nickte sie und bedeutete Linda zu warten. Sie eilte den Flur entlang und kehrte nach drei Minuten mit einer kleinen Tasche zurück, die man aufrollen konnte. Barbro kniete sich vor das Schloss, klopfte mit dem Fingerknöchel gegen das Holz und machte sich an die Arbeit. Nach drei Minuten öffnete sich die Tür.
»Du gehst hinein und schaust dich um«, flüsterte Barbro.
»Willst du nicht mit?«
Barbro schüttelte den Kopf. »Ist doch ein Unterschied, ob die Freundin nach einem sieht oder die Polizei die Wohnung betritt.«
Linda tappte vorsichtig in den dunklen Flur und suchte den Lichtschalter. Im Flur gab es keine Veränderung seit ihrem letzten Besuch. Linda prüfte zuerst das Wohnzimmer, dann die Küche und am Ende das Schlafzimmer. Sie kehrte zurück in den Flur. Durch den Spalt in der Wohnungstür sah sie Barbro im Gang auf- und abgehen. Nichts hatte sich seit Freitag verändert. Die beiden Gläser standen ungespült in der Spüle, auf dem Küchentisch lagen ein Feuerzeug, drei Zehnkronenmünzen und ein Schlüssel. Das war die einzige Veränderung, die Linda entdecken konnte. Sie schielte nach Barbro, die gerade vor dem Aufzug wendete. Rasch ging sie zum Küchentisch und ließ den Schlüssel in ihrer Hosentasche verschwinden. Damit konnte sie noch mal wiederkommen und genauer nachschauen, falls Amelie nicht auftauchen sollte.
37
Auf dem Weg zum Haupteingang wischte Henning Larsson mit dem Handrücken über seine verschlafenen Augen. Auf der Fahrt von Huddinge nach Solna hatte leichter Regen eingesetzt. Der kurze Schlaf und die verschwommenen Scheinwerfer der entgegenkommenden Fahrzeuge hatten ihm ganz hinten in seinem Schädel dröhnende Kopfschmerzen
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